Eskandar: Roman (German Edition)
bleiben so lange in seinem Kopf, bis er sie aufschreibt, erst dann wird er sie los.
Eskandar ist mit seiner Arbeit für den Fotografen und seinen Geschichten so abgelenkt, dass er weniger und weniger an Roxana und die schöne Mahrokh denken muss und nur noch selten von der Erinnerung an seine feige Flucht aus Teheran und den Verrat an seinen Freunden Hodjat und Agha-Mobasher gequält wird.
Gerade richtet Eskandar-Agha sich in seinem neuen Leben ein und gewöhnt sich an einen geregelten Tagesablauf, daran keinen Hunger, einen Schlafplatz und die Gesellschaft eines gütigen und klugen Freundes zu haben, von dem er viel lernt, da kommt ein Bote zu Agha-Akkassbashi. Er bringt eine Depesche aus Teheran. Nicht von irgendjemandem, sondern von Seiner Majestät höchstpersönlich. Der König ist von seinen Vergnügungen in Europa wohlbehalten zurückgekehrt und plant, mit seinen iranischen und Farangi-Gästen eine große Jagd zu veranstalten, die er auf Fotografien für die Nachwelt festhalten möchte. Aus diesem Grund hat er die wenigen Fotomeister seines Reiches ausfindig machen lassen und beordert sie nun in die Hauptstadt.
Wieder wird meine schöne kleine Welt, die ich mir aufgebaut habe, auseinanderfallen, klagt Eskandar. Ich werde alles verlieren und abermals auf mich allein gestellt sein.
Kein Grund, betrübt zu sein, beruhigt Agha-Akkassbashi. Ich bin mit deiner Arbeit mehr als zufrieden. Du bist der beste Gehilfe, den ich je hatte, und es steht außer Frage, dass du mich begleiten wirst.
Und für mich steht außer Frage, dass ich nicht nach Teheran kann.
Glaub mir, hier im Norden wird die Lage mit jeder Woche schlechter und das Leben unerträglicher. Es wird noch mehr Aufruhr und Aufstände geben. Die Russi fressen sich immer tiefer in unser Land hinein. Ihre Kosakenbrigade durchsucht Häuser nach Feinden des Königs; sie verbrennen Hütten und das Hab und Gut der Menschen, sie nehmen willkürlich Männer fest, sperren sie ein, töten sie. Sie entehren Iraner, brechen ihren Stolz, indem sie ihre Töchter, Frauen und Mütter verschleppen und vergewaltigen. Mehr und mehr Männer schlagen sich auf die Seite der Freiheitskämpfer, der Djangali, und ihres Führers Mirza Kutshek-Khan. Es ist ein Teufelskreis. Der Handel ist nahezu unmöglich, und immer mehr Menschen werden ins Elend getrieben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu Kämpfen kommt, sagt Agha-Akkassbashi. Hier ist kein Ort für Leute wie dich und mich. Lass uns dem Wink des Schicksals folgen und von hier verschwinden.
Ich stehe im Wort, sagt Eskandar. Wer weiß, vielleicht wendet sich das Blatt schon bald, vielleicht haben die Leute recht und Mirza Kutshek-Khan wird tatsächlich nach Teheran reiten, den König stürzen, die Dynastie der Qajaren auslöschen und Schluss machen mit Korruption und Ausbeutung und der Besatzung durch Russi und Engelissi.
Wer hat dir denn diesen dummen Gedanken in den Kopf gesetzt?
Dumm oder nicht, ich habe keine Wahl. Ich muss bleiben.
Aber versteh doch, ausgerechnet für jemanden wie dich wird es hier täglich gefährlicher. Du kommst aus dem Süden, und sowohl die Soldaten der Regierung als auch die Russi, aber selbst der Mirza könnten dich für einen Spion der Engelissi-Farangi, der Almani oder sonst wem halten.
Dass er lieber für einen Spion gehalten wird, als nach Teheran zurückzukehren, bevor das von Mahrokh-Khanum verordnete Jahr um ist und er es sich ein für alle Mal mit ihr verscherzen könnte, gibt Eskandar nicht zu. Er sagt auch nicht, dass er nicht in die Hauptstadt zurückwill, weil er sich schämt, weil er Menschen, die ihm ihr Vertrauen geschenkt und Hoffnung in ihn gesetzt haben, hintergangen und enttäuscht hat.
Ich gehe mit schwerem Herzen, sagt der Fotomeister bei seinem Abschied und schenkt Eskandar ein Paket mit unbeschriebenem Papier. Dann nutze deine Zeit wenigstens dazu, weiterhin Geschichten zu schreiben, sagt er und umarmt Eskandar wie einen Sohn.
Eskandar-Agha und die Freiheitskämpfer
Ein paar Tage nachdem der Fotomeister die Stadt verlassen hat, stellt ein Mann sich Eskandar in den Weg, gibt unumwunden zu, ein Djangali zu sein, und bittet ihn, mit in den Wald zu kommen. Mirza Kut shek-Khan möchte dich um einen Dienst bitten, sagt er, verbindet ihm die Augen und hilft ihm aufs Pferd. Nach einer Weile bekommt Eskandar mit, dass weitere Reiter sich zu ihnen gesellen, dann spürt er an dem weichen Untergrund und der kühlen Luft, dass sie sich im Djangal, im Wald, befinden.
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