Eskandar: Roman (German Edition)
sein; kann nicht bestimmen, wie sein Leben aussehen soll. Deshalb lässt der Mirza Schulen bauen, nicht nur für Jungen, sondern sogar für Mädchen. Er bezahlt die Ausbildung der Lehrer und ihren Lohn, lässt für die Schüler und Studenten Bücher drucken.
Und obwohl er längst vom König höchstpersönlich zu dessen Feind erklärt wurde und von seinen Soldaten, Agenten, Söldnern verfolgt wird, setzt der Mirza seine Bemühungen für die Verbreitung von Wissen fort, erzählen seine Männer voller Bewunderung für ihren Anführer, und Eskandar-Agha notiert gewissenhaft jedes Wort. Der Mirza riskiert es, gefangen genommen zu werden, während er Schulen besucht und mit Schülern, Studenten und Lehrern spricht, sagen die Männer und warten, bis Eskandar-Agha es aufgeschrieben hat.
Am dritten Tag trifft die Delegation der Engelissi ein.
Als würde er mit einem Freund sprechen, bittet der Mirza Eskandar-Agha, bleiben Sie in meiner Nähe. Und bitte notieren Sie auch jetzt, was immer Sie sehen und hören.
Nicht wie Gäste in einem fremden Land, sondern wie seine Besitzer treten die Engelissi und ihre Begleiter auf. Dreist und selbstbewusst stehen sie vor dem großen Mirza Kutshek-Khan und reden mit ihm wie mit einem Untertan, wie mit einem, den man kaufen kann. Wir kommen mit einem großzügigen Angebot zu Ihnen, sagt der Führer der Engelissi, ein kleiner Mann mit rotem Haar und dickem Bauch. Wir wollen Sie auf den Thron bringen, sagt er und grinst, als wäre der Wald ein Basar und sein Angebot, wie er es nennt, der Handel um eine Ware.
Während Eskandar akkurat jedes Wort und alles, was er beobachtet und mitbekommt, aufschreibt, ist es ihm peinlich, dass er bisher jeden Farangi in Schutz genommen hat, besonders wenn sie Engelissi oder Kanadier sind.
Der Rothaarige spricht im Namen seines Königs. Wir sind es leid, sagt er und wedelt mit der Hand vor seinem Gesicht herum, als würde er lästige Fliegen oder einen unangenehmen Geruch verscheuchen. Wir sind es leid, den Iran weiterhin mit den Russen teilen zu müssen, sagt er. Allerdings würden wir die Welt geradewegs in einen neuen Krieg stürzen, wenn wir uns selbst um dieses Problem kümmern würden. Wir müssen auf internationale Beziehungen und Allianzen Rücksicht nehmen und können und wollen uns deshalb nicht auf einen Kampf mit der Sowjetunion einlassen.
Während der Rothaarige mit lauter und unangenehmer Stimme spricht und mit den Armen fuchtelt, steht Mirza seelenruhig da und hört dem Farangi zu. Eskandar fragt sich, warum der Mirza nicht einfach den Befehl erteilt, den Rothaarigen und seine Delegation auf der Stelle zu erschießen.
Wir erwarten von Ihnen – erwarten, das ist das Wort, das der Farangi benutzt -, dass Sie die Iranische Republik am Kaspischen Meer, die die Russen sich unter den Nagel gerissen haben, ihnen wieder entreißen. Wir wollen, dass Sie die Provinz Gilan wieder dem Iran zurückführen und die Russen endgültig aus Ihrem Land hinauswerfen. Gelingt Ihnen das, sagt der Engländer mit einer Kaltschnäuzigkeit, die Eskandar erschauern lässt, sitzen Sie schon bald in Teheran auf dem Thron. Das garantieren wir Ihnen. Um den König und Ihre anderen Widersacher brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Die werden wir für Sie aus dem Weg räumen, noch bevor Sie selbst den Fuß durch das Darvazeh Teheran, das Tor der Hauptstadt, setzen, verkündet der Engelissi. Zufrieden mit sich selbst und seiner Ansprache, legt er eine Hand auf seinen dicken Bauch, die andere auf den Rücken und grinst.
Sie haben also vor, meine Brüder und Landsmänner zu ermorden?, fragt der Mirza.
Der Engländer lacht, wenn Sie so wollen, ja.
Beantworten Sie mir bitte eine Frage, sagt der Mirza. Hat Ihr verehrter König Kenntnis von diesem Treffen und Ihrem Vorhaben?
Das braucht er nicht, der Rothaarige winkt ab. Seine Majestät interessiert sich für das Resultat, mit Einzelheiten und Details belästigen wir unseren König nicht.
Der Mirza nickt, bedankt sich für die wertvollen Informationen und den Einblick, den man ihm in die Politik und den Charakter der verehrten Gäste gewährt hat. Bitte überbringen Sie Ihrer Majestät, dem König von England, meine wärmsten Grüße, möge er ein langes Leben in Frieden und Freiheit genießen, sagt der Mirza und macht seinen Männern ein Zeichen, die Engelissi aus dem Wald hinauszubegleiten. Doch im selben Moment greift der Rothaarige, der Leiter der geheimen britischen Delegation, in einen ledernen Beutel, der
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