Eskandar: Roman (German Edition)
sagen die Männer und werfen ihm vor, dass er mit seiner Bodenreform abertausenden Leibeigenen von einem Tag auf den anderen jegliche Grundlage zum Leben nimmt. Die armen Menschen sind auf sich allein gestellt und müssen ohne ihren Besitzer, den Arbab, auskommen. Die Mehrheit der Bauern haben aber weder nötiges landwirtschaftliches Gerät noch Saatgut; sie haben keine Tiere, kein Wasser und kein Geld. Ganze Dörfer sterben; die verarmten Leibeigenen flüchten in die Städte. Und auch wir Städter leiden, sagen die Männer im Teehaus, denn ohne Bauern gibt es keine Landwirtschaft, und ohne Landwirtschaft gibt es für das ganze Land nichts zu essen.
Auch seinen erbarmungslosen Kampf, die Nomaden sesshaft machen zu wollen, machen viele dem neuen König zum Vorwurf. Drei Millionen Menschen unterschiedlichster Stämme würden sich nicht mehr selbst ernähren können und abhängig werden von einer Regierung und der allgemeinen Wirtschaft, die nicht stark genug ist, sie zu versorgen.
Doch wie viele seiner Landsleute ist auch Eskandar überzeugt davon, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Resa-Khan für diese Probleme eine Lösung findet. Es gefällt Eskandar-Agha, dass der König ähnlich wie der Mirza in Bildung, Schulen und Universitäten investiert. Und das, obwohl Resa-Khan selbst kaum lesen und schreiben kann. Ähnlich wie der Freiheitskämpfer sagt auch er, Bildung sei der Schlüssel für die Entwicklung seines Landes, und er führt die Schulpflicht ein, sogar für Mädchen. Hunderte Schulen lässt der König bauen.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist Bildung nicht mehr nur das Privileg der Reichen und Wohlhabenden. Zur Überraschung von Eskandar-Agha und den Männern aus dem Teehaus verschwinden sogar mehr und mehr Turbane aus den Unterrichtsräumen und machen westlichen Hüten Platz; sogar Frauen werden als Lehrerinnen ausgebildet und ersetzen Mullah und Akhund. Schülerinnen und Schüler lernen nicht mehr nur den Koran, sondern werden in Mathematik, Persisch und anderen Fächern nach einem einheitlichem Lehrplan unterrichtet. Nach dem Vorbild der Farangi sollen die Mädchen und Jungen Schuluniformen tragen und nicht mehr auf dem Boden sitzen, sondern an Tischen und Stühlen; und zum ersten Mal haben Jungen die Möglichkeit, einen anderen Beruf als den des Mullah zu erlernen.
Eskandar-Agha ist froh, dass er nicht Mullah oder Akhund, sondern Schreiber und Geschichtenerzähler geworden ist. Denn dann würde er jetzt wieder einmal keine Arbeit haben. Nach den neuen Gesetzen nämlich verlieren neben den Großgrundbesitzern die Mullah nicht nur ihre Zuständigkeit für Bildung, sondern auch für sämtliche Angelegenheiten der Hygiene und Gesundheit. Auch bei Streitigkeiten sprechen nicht mehr Mullah und Arbab Recht; sie führen keine Eheschließungen mehr durch und bestimmen nicht mehr über das Schicksal der Leibeigenen und ihrer Kinder. Stattdessen hat der Schah Ministerien für Bildung, Justiz, Gesundheit, Landwirtschaft und Finanzen eingerichtet, die fortan all diese Angelegenheiten regeln sollen.
Eskandar-Agha sind die neuen Gesetze recht. Mit jedem neuen Gesetz und Ministerium, mit jeder Besitzurkunde, die Menschen für ihre Ländereien und Grundstücke brauchen, bekommt er mehr und mehr Schreibarbeit.
Akhund, Mullah und Großgrundbesitzer dagegen nutzen jede Gelegenheit, den König zu diskreditieren. Auch dass sein Sohn Mohammad Resa mit schnellen Autos durch die Straßen von Teheran rast, werfen sie ihm vor. Worauf der Schah seinen Sohn in die Schweiz schickt, wo er in einer teuren Privatschule Französisch, Englisch und europäische Umgangsformen lernt.
Resa-Khan lässt sich nicht einschüchtern, lässt Stimmungsmacher gegen ihn verhaften und besonders aufständische Geistliche lässt er vergiften oder auf andere Weise töten.
Wie der König, es geschafft hat, sich bei den Farangi dermaßen beliebt zu machen, dass sogar der internationale Völkerbund in Genf seine Verletzungen von Menschenrechten und internationalen Konventionen unbeachtet lässt und ihn als Vollmitglied akzeptiert, kann Eskandar-Agha sich allerdings nicht erklären.
Dass der Schah mit den Almani Geschäfte macht und sie als neue Freunde des Iran gewonnen hat, findet nicht nur Eskandar-Agha gut. Denn die Almani sind Feinde der Russi und Engelissi, und deshalb betrachten die meisten Iraner die Deutschen als Freunde des iranischen Volkes.
Achtung, Achtung, Kameraden, begrüßen die Männer sich gut gelaunt und freuen
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