Eskandar: Roman (German Edition)
sich, weil die Almani versprochen haben, ihrem König zu helfen. Sie wollen die Besatzer nach einem Vierteljahrhundert endlich aus dem Iran jagen. Die Almani schicken Experten, Agenten und Spione, und als Dank für ihre Hilfe gegen die Russi und Engelissi bekommen sie Aufträge für den Bau von Ministerien, der Eisenbahn und dem Postamt, und die Iraner kaufen, wo immer sie können, deutsche Waren und Produkte, die sie ohnehin für die besseren halten.
Der König und seine Pläne für die Erneuerung des Iran bescheren Eskandar-Agha so viel Arbeit, und es geht ihm so gut, dass er seine Reise nach Teheran zu Mahrokh-Khanum und seiner Roxana wieder und wieder auf den nächsten Monat verschiebt, bis eines Tages eine Gruppe aufgebrachter Mullah bei ihm im Teehaus auftaucht.
Ihr Anführer schnaubt vor Wut, wirft Eskandar-Agha die Zeitung Etela’at vor die Füße und fordert ihn auf, einen Artikel daraus vorzulesen. Eskandar-Agha weiß, worum es geht, denn seit Tagen sprechen die Leute über kein anderes Thema.
Hier steht, ab sofort müssen Ehen, die bei einem Akhund oder Mullah geschlossen wurden, beim Justizministerium registriert werden, damit sie legal sind, sagt Eskandar-Agha.
Lies, befiehlt ihm der Mullah und deutet auf den Artikel.
Um keinen Ärger zu riskieren, gibt Eskandar-Agha klein bei und liest. In diesem Land sind Männer immer Meister und Herren der Frauen gewesen, folglich werden viele Männer diesem Gesetz nicht zustimmen. In der Vergangenheit haben sie so oft geheiratet, wie es ihnen gefiel, auch deshalb, weil ihre Ehen nicht registriert wurden. Schließlich und endlich wird das Gesetz der Registrierung der Polygamie und Verletzung der Rechte der Frauen ein Ende bereiten.
Was bedeutet das?, fragt der Anführer der Mullah.
Das, was ich bereits gesagt habe, ab sofort sind Ehen nur rechtmäßig, wenn sie beim Justizministerium registriert wurden.
Der Hundesohn von Schah will sich also mit dem Propheten anlegen?, flucht der Mullah.
Eskandar-Agha schweigt und vermeidet es, die Männer anzusehen.
Der Mullah reißt Eskandar die Zeitung aus der Hand. Und du?, fragt er.
Eskandar zwingt sich, weiter auf den Boden zu starren, und zuckt nur die Schultern.
Sprich, schreit der Mullah.
Ich habe nichts zu sagen, antwortet Eskandar eingeschüchtert.
Du bist ein Feigling, sagt der Mullah, eine Schande für unser Land und die heilige Religion. Wer hat dir überhaupt erlaubt, hier zu sitzen und diese modernen Briefe und Dokumente zu schreiben und damit den Schah und seine verdammten neuen Gesetze zu unterstützen?
Dass Eskandar einfach immer weiter vor sich auf den Boden sieht und nicht antwortet, macht den Mullah so wütend, dass er plötzlich ausholt und ihm eine runterhaut. Dann rafft er seinen Umhang zusammen, steht auf und befiehlt seinen Schülern, ihm zu folgen.
Einer der Lehrjungen spuckt Eskandar vor die Füße, ein anderer beugt sich zu ihm herunter, entschuldigt sich und drückt ihm eine Münze in die Hand. Morgen habe ich mit diesem Haufen nichts mehr zu tun, flüstert er, denn ich werde in eine dieser richtigen Schulen gehen, die der Schah für uns gebaut hat.
Eskandar nickt wortlos. Er hat Tränen in den Augen, als er mit einem Lappen den Speichel des Lehrjungen wegwischt, der auf seinen Füßen gelandet ist. Dann packt Eskandar seine Notizen, Zettel, Federn und die Tinte in seine Kiste, sieht sich noch einmal auf dem Platz vor dem Teehaus um, murmelt be amaneh khoda, beschütze dich Allah, mein geliebtes Bandar-e Ansali, du bist mir eine gnädige Herberge gewesen, die schönste Hafenstadt, die ich kenne. Aber nun ist es Zeit, in die Hauptstadt zurückzukehren, sagt Eskandar mit fester Stimme, als wäre er nicht allein. Dann sieht er sich nicht mehr um und geht in Richtung der Landstraße, die nach Teheran führt.
Nach Tagen und Wochen kommt er in Teheran an, und es kommt ihm vor, als sähe er die Stadt zum ersten Mal. Die vielen Straßen, Häuser, Gebäude, Droschken, Automobile, der Krach und Lärm, die Menschen und der Gestank treiben ihm den Angstschweiß auf die Stirn.
Er findet die richtige Gegend, doch das Anwesen des Tigers samt seinen hohen Mauern ist verschwunden. An ihrer Stelle befinden sich jetzt Straßen, Gassen und viele kleinere Gärten.
Ein junger Polizist mit weißen Handschuhen und einer Trillerpfeife steht mitten auf einer neu entstandenen Kreuzung und berichtet in offiziellem Ton, der Tiger ist mit all seinen Frauen und Kindern, Reitern und Bediensteten in den Süden,
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