Eskandar: Roman (German Edition)
wach, verliert sich den ganzen Tag und die ganze Nacht in ihren eigenen dunklen Gedanken.
Eine, die keine Kinder hat, ist keine richtige Frau, sagen die Leute zu Eskandar-Agha. Nimm eine andere. Gott wird es gefallen.
Ich werde mit ihr eine Reise machen, sagt er.
Mein Kind stirbt, und du willst sie auch noch durch die Wüste und über die Berge schleppen, schimpft ihre Mutter. Lass es bleiben, mach dich nicht unglücklich.
Eskandar-Agha hört nicht auf seine Schwiegermutter, macht seinem Schwiegervater und ein paar anderen Händlern im Basar einen Vorschlag für ein Geschäft, das sie nicht ablehnen können, und trifft Vorbereitungen für die Reise mit seiner Frau.
Aftab-Khanum ist so schwach auf den Beinen, dass sie nur gestützt von Eskandar gehen kann. Sie sind dünn und zerbrechlich geworden, sagt er. Aber ich weiß, Sie werden es nicht überleben, wenn Sie immer nur in unseren vier Wänden eingesperrt sind, wo die Geister und Bilder der toten Kinder sie vom Leben abhalten. Sie sind tapfer, ermutigt er sie. Vertrauen Sie mir, die Reise und die Luftveränderung werden Sie gesund machen.
Aftab-Khanum zwingt sich zu einem Lächeln. Dann erfüllen Sie mir einen Wunsch, und lassen Sie uns mit der Eisenbahn reisen.
Den Bahnhof haben die Almani-Freunde des Königs gebaut, erklärt Eskandar-Agha seiner Frau. Aber sie haben ihn mit iranischem Geld errichtet, und zwar mit den ersten Steuergeldern der neuen Regierung.
Die Farangi mögen anscheinend große Gebäude. Sehen Sie, sagt Aftab-Khanum, wie großzügig sie mit dem Platz umgegangen sind und wie hoch die Decke ist. So viele Säulen und so viel Prunk. Und obwohl erst früher Morgen ist, sind schon jetzt so viele Menschen unterwegs. Das Schleppen und Schieben gefällt mir, sagt Aftab-Khanum und macht ihren Mann glücklich, weil sie redet und er sogar den Anflug eines ungezwungenen Lächelns in ihrem Gesicht erkennen kann.
Alle Waggons und Abteile sind voll mit Reisenden, vor allem mit aufgetakelten, auffällig geschminkten und gekleideten Frauen. Hemmungslos zeigen sie ihre nackten Beine, schlagen sie übereinander, ziehen, obwohl sie in der Öffentlichkeit sind, ihre Strümpfe zurecht. Sie lachen, kichern, singen und rauchen sogar, lassen eine Flasche Hundeschnaps herum gehen und verziehen das Gesicht, weil er in ihrer Kehle brennt.
Es sind leichte Mädchen, erklärt der Schaffner in konspirativem Ton und zwinkert Eskandar zu. Sie fahren in den Süden, sobald die Hitze des Sommers beginnt. Verstehst du?, fragt er und zwinkert erneut.
Eskandar versteht nicht.
Die Eisenbahn in Richtung Norden hingegen ist voll mit den Frauen und Kindern der Farangi und Angestellten der APOC, der Ölraffinerie. Die Männer schicken ihre Frauen und Kinder in den heißen Sommermonaten in den kühleren Norden oder in die Heimat. Und damit sie selbst nicht über Wochen und Monate alleine sind und sich langweilen, lassen sie diese Dirnen zu ihrer Unterhaltung in den Süden kommen.
Jetzt beginnt Eskandar zu begreifen.
Und am Ende des Sommers ist es umgekehrt, erklärt der Schaffner. Die Waggons in Richtung Süden bringen die Familien der Farangi und Angestellten zu ihren Männern zurück, und diese hier reisen wieder in den Norden. Manchmal kommt es vor, dass die Züge sich im Bahnhof kreuzen und die Damen sich begegnen, sagt der Schaffner schmunzelnd, und die Damen von dem einen Zug sehen in den anderen hinüber und lächeln sich gegenseitig an. Und die Dirnen wissen Bescheid und die anderen sind ahnungslos, sagt der Schaffner.
In Abadan machen sich Eskandar und Aftab-Khanum gleich auf die Suche nach einem Quartier für die Nacht.
Wir haben uns davongeschlichen wie Diebe, sagt Aftab-Khanum.
Es ist ein Abenteuer, antwortet Eskandar-Agha. Noch merken Sie nichts. Aber bitte vertrauen Sie mir, ich weiß, welche Wirkung eine Reise auf einen Menschen haben kann.
Die Leute werden schlecht von uns denken, sie werden hinter unserem Rücken sprechen.
Mir ist es lieber, die Leute reden hinter unserem Rücken, und ich verliere meine Ehre und meinen Ruf, als dass ich Sie verliere, meine Geliebte.
Sie scheinen zu wissen, was Sie tun, sagt Aftab-Khanum und klingt, als wäre sie überrascht darüber, dass ihr Mann zu so etwas imstande ist. Vielleicht tut es mir wirklich gut, mich von der Hoffnung und der Aufbruchstimmung dieser Stadt anstecken zu lassen.
Dem nächsten Bettler, der ihren Weg kreuzt, schenkt Eskandar so viel Geld, dass der Arme sich aus Dankbarkeit vor ihm in den
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