Eskandar: Roman (German Edition)
Buchstabe für Buchstabe vor, Daftare Sabte Asnad, Büro für die Registrierung von Urkunden. Am liebsten würde er seine Sachen packen und verschwinden.
Lies weiter, befiehlt der Mullah.
Aber bitte denkt daran, ich lese nur vor, sagt Eskandar-Agha. Der verehrte König Resa-Schah persönlich verfügt, dass das Gesetz über die neuen Kleidervorschriften ab sofort für jeden gelten.
Ein Raunen geht durch die Menge, und der Mullah wird abermals wütend.
Jeder Bürger wird aufgefordert, die gleiche Art Anzug zu tragen, wie es bisher nur staatlichen Angestellten vorgeschrieben war. Wer diesem Gesetz nicht Folge leistet, wird zu fünf bis dreißig Toman Strafe verurteilt. Bei wiederholtem Vergehen werden höhere Geldstrafen verhängt und die Täter ins Gefängnis verbracht.
Alle Männer rufen durcheinander. Was soll das für eine Uniform sein? Jacken, Hosen und Hüte nach Art der Farangi, liest Eskandar-Agha. Das heißt, traditionelle und stammesübliche Art von Kleidung ist verboten.
Der Mullah schnaubt zornig, will Eskandar-Agha am Kragen packen. Ausgenommen von dieser Kleidervorschrift, beeilt Eskandar-Agha sich zu lesen, sind anerkannte und registrierte Geistliche.
Was sagst du?, fragt der Mullah und hält seinen Arm in der Luft.
Ausgenommen von dieser Kleidervorschrift sind anerkannte und registrierte Mullah und Akhund, wiederholt Eskandar-Agha rasch.
Der Mullah macht mit seiner Hand, die noch immer in der Luft hängt, eine Bewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. Lies weiter.
Der positive Effekt und die Zweckmäßigkeit dieses Gesetzes sind so offensichtlich, dass es keine wirkliche Notwendigkeit gibt, sie zu diskutieren, liest Eskandar-Agha und behält den Mullah dabei im Auge. Besonders wenn es sich um die Stämme handelt, die an den Grenzen des Landes leben. Denn manche von ihnen tragen die arabische und andere die mongolische oder sonstige Kopfbedeckung. Ihre unterschiedliche Kleidung hat unsere große und alte Nation in türkische, arabische und andere Ethnien gespalten.
Der Mullah nickt und verschränkt die Arme vor der Brust, als wären diese Gesetze nur gültig, weil er seine Zustimmung gibt.
1930, Eskandar-Agha behält seine Geheimnisse für sich
Fünf- oder sechsmal hat Aftab-Khanum ein Kind unter ihrem Herzen getragen. Immer hat Eskandar-Agha gehofft und gebetet, sie möge es gesund zur Welt bringen. Nicht weil er sich selbst Söhne und Töchter wünscht, sondern nur seiner Sonne wegen, die er inzwischen liebt wie sein eigenes Augenlicht und nichts mehr will als ihr Glück. Doch Allah hat offenbar andere Pläne, als Eskandar und seine Aftab-Khanum mit Kindern zu beschenken. Ihre Schwangerschaft dauert nie länger als ein paar Wochen, dann schwemmen Blut und dicker Schleim die toten Kinder aus ihrem Leib heraus.
Es ist nicht gerecht, sagt Eskandar und küsst die traurigen Augen seiner Frau. Gott will mich bestrafen und lässt Sie dafür leiden, weil er weiß, dass Ihr Leid mich mehr schmerzt als mein eigenes.
Erinnern Sie sich an die Frau, die Sie vor vielen Jahren in das Haus meines Vaters gebracht haben? Erinnern Sie sich, dass sie keine Zähne hatte?
Bitte, liebe Khanum, Sie dürfen sich nicht anstrengen.
Lassen Sie mich. Es ist mir wichtig, es zu sagen. Die arme Frau besaß keine Zähne, weil ihr Mann sie ihr ausgeschlagen hatte. Er tat es, weil sie ihm keine Söhne gebären konnte. Er hat gesagt, sie ist zu nichts anderem nutze, als seine Lust zu befriedigen. Und weil ihr Leib najess ist und er sich nicht beschmutzen und sich die rituelle Waschung ersparen will, hat er ihr die Zähne ausgeschlagen, um seine Lust ungehindert in ihrem Mund befriedigen zu können.
Khanum, ich bitte Sie, sagt Eskandar-Agha entsetzt.
Tränen laufen über ihr Gesicht. Es ist wahr. So geht es vielen Frauen, sagt Aftab-Khanum. Ihre Männer glauben, es sei die Schuld der Frau, wenn sie ihm keine Söhne oder überhaupt Kinder gebärt. Sie hingegen, mein geliebter Gemahl, lieben mich mit jeder Fehlgeburt mehr und nehmen alle Schuld auf sich. Sie sind ein Geschenk des Himmels, und ich weiß nicht, womit ich Sie verdient habe.
Schweigen Sie, Geliebte, bittet Eskandar seine Sonne, aus deren schönem Gesicht alle Farbe gewichen ist. Fahl wie der Mond in kalter Winternacht, ohne Lust am Leben liegt sie da, starrt ins Leere, isst nicht, trinkt nicht, spricht nur mit ihrem Eskandar, sonst mit niemandem, nicht einmal mit ihrer Mutter oder ihrem Vater. Weder schläft sie, noch ist sie richtig
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