Esper in Aktion
–
Sei vernünftig, Richard – Annette ist erwachsen! Sie muß lernen, sich in der Welt zurechtzufinden. Du kannst sie nicht ewig hier im Haus einsperren.
Aber wenn sie –
Bleib ruhig, Richard – warte noch zwei Stunden.
Wenn sie bis dahin nicht aufgetaucht ist, kannst du etwas unternehmen.
Havenlake bemühte sich, die Panik in seinem Innern zu verdrängen. Viktors Rat war gut. Er erkannte, daß seine Haltung Annette gegenüber etwas Unnatürliches hatte. Vielleicht verlor sie noch den letzten Rest an Selbstsicherheit, wenn er sie auf Schritt und Tritt bewachte. Sollte sie sich in London ablenken! Vielleicht kam sie allmählich über ihre Depressionen hinweg.
Wie von einer schweren Last befreit, ging er nach oben. Er nahm eine Dusche, rieb sich trocken und schlüpfte in bequeme Kleider. Seit er das Haus hier draußen auf dem Land gemietet hatte, machte es ihm Freude, sich um den Garten zu kümmern. Die Bewegung an der frischen Luft tat ihm gut.
Bevor er ins Freie trat, blieb er einen Moment auf der Veranda stehen. Er stopfte sich seine Pfeife und sah über den glatten Rasen hinweg zu dein kleinen Sommerhäuschen, das der vorige Besitzer erbaut hatte. Zu beiden Seiten der Grasfläche standen Büsche mit Goldlack. Eine leichte Brise wehte, und am Himmel zog ein Flugzeug seine Kreise.
Ohne Eile überquerte er den Rasen und ging auf den kleinen Werkzeugschuppen zu, der hinter dem Sommerhaus stand. Er hatte am Morgen Spuren von Blattläusen auf den Rosensträuchern entdeckt und wollte die Stiele besprühen.
Als er das Sommerhaus erreichte, blieb er aus einem Impuls heraus stehen. Obwohl der Makler das Ding in höchsten Tönen angepriesen hatte, war Havenlake ncch nie so recht davon begeistert gewesen. Die weißgestrichenen Bretter, das bunte Glas und die Schnitzereien nähmet! sich inmitten der Natur einfach kitschig aus. Wenn Annette nicht so vernarrt in das Ding gewesen wäre, hätte er es längst abgerissen.
Mit den plumpen, mechanischen Schritten eines Schlafwandlers betrat er die hohen, hölzernen Stufen. Durch das bunte Glas der Scheiben drang schwaches Licht. Hitze schlug ihm entgegen – und der widerlich süßliche Geruch von Gin.
Annette lag in dem gestreiften Gartenstuhl. Sie war nackt. Das Licht, das durch die gefärbten Glasscheiben drang, ließ ihre helle Haut fleckig aussehen, ein Arm hing schlaff über die Lehne. Die leere Ginflasche war auf den Holzboden gerollt – und daneben entdeckte er ein dunkelbraunes Röhrchen.
Er wußte, daß sie tot war, noch bevor er sie anrührte. Barbiturate und Alkohol waren eine absolut sichere Mischung. Dennoch versuchte er sie mit seinem Psi-Bewußtsein zu erreichen.
Nein Richard! Viktor stellte sich ihm entgegen. Du kannst nichts mehr für sie tun.
Er kämpfte gegen Viktor an. Du hast das gewußt?
Nein, Richard – woher denn? Sie war eine potentielle Selbstmörderin, das mußt auch du erkannt haben. Aber niemand konnte sagen, wann …
Du lügst!
Warum sollte ich lügen?
Weil du sie gehaßt hast – du wolltest sie loswerden!
Du verschließt die Augen vor der Wirklichkeit, Richard. Viktors Antwort klang verständnisvoll. Es hat keinen Sinn, einen Schuldigen zu suchen. Das Ganze war unvermeidlich.
Du hättest helfen können.
Habe ich es nicht getan? Denke an gestern nacht!
Der gerechte Vorwurf brachte Havenlake noch mehr in Zorn. Er jagte dem Partner seine ganze Psi-Kraft entgegen. Verschwinde aus meinem Innern, du Wurm – du Schmarotzer!
Mit einem Mal spürte er Viktor nicht mehr. Nur ein schwacher Vorwurf blieb zurück.
Havenlake kniete neben dem Gartenstuhl nieder und betrachtete Annette. Sie hatte die Augen geschlossen. Der Tod verklärte ihre Züge. Er beugte sich über sie, um sie in die Arme zu nehmen und zuckte zurück, als er das klamme, kalte Fleisch spürte.
Tot! Und er allein trug die Schuld daran. Er hätte niemals in Annettes Unterbewußtsein eindringen dürfen. Dadurch hatte er sie zu einer furchtbaren Entscheidung getrieben …
7
Aus dem Barspiegel starrte ihm ein Fremder entgegen – mit blutunterlaufenen Augen, eingefallenen Wangen und einem mehrere Tage alten Bart. Der Alkohol hinterließ einen ekelhaften Geschmack auf der Zunge, und doch schüttelte er das Zeug weiter in sich hinein. Er hoffte, dadurch seine Sinne abzustumpfen und die Erinnerungen zu zerstören.
Das gelang ihm nur zum Teil. Sein Verstand arbeitete unter dem Alkoholnebel weiter, wie ein Roboter, der sich nicht abstellen ließ. Dieser Roboter sagte
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