Esper unter uns
seinen Kopf schoß.
Ein Hauch Parfüm drang in seine Nase. Eine Frauenstimme sagte: »Ah, Sie sind aufgewacht. Ich werde den Arzt holen.«
Er schwieg, um nicht neuerlichen Schmerz heraufzubeschwören, und verhielt sich völlig ruhig, als eine schattenhafte Gestalt sich neben dem Bett erhob und ihre Silhouette flüchtig an der Tür, die sie öffnete, sichtbar wurde.
Er empfand plötzlich tiefe Beunruhigung, die nach seinem Herzen griff. Er hatte, ehe sie sich nicht rührte, nicht einmal gewußt, daß die Schwester sich im Zimmer befand. Wieso? Normalerweise hätte er sofort beim Erwachen spüren müssen, daß ein anderer Geist anwesend war. Dem Schmerz nach, wenn er sich bewegte, hatte er offenbar eine Gehirnerschütterung. Wahrnehmungsstörungen waren in einem solchen Fall normal, genau wie die Tatsache, daß er sich an keinen Unfall oder sonstigen Grund erinnern konnte, der zu einer Einweisung in ein Krankenhaus geführt haben konnte. Teile seiner Erinnerung würden möglicherweise mit der Zeit zurückkehren, doch andere für immer ausgelöscht sein, aufgrund der Kontraktion der Blutgefäße seines Gehirns im Augenblick der Erschütterung. Das Wichtigste in einem solchen Fall war, den Patienten zu überzeugen, daß er sich nicht plagen durfte, die Amnesiebarriere durchbrechen zu wollen, weil dieser Versuch sie nur noch verstärken würde.
Der Patient! Er war der Patient! Aber es würde nichts schaden, in aller Ruhe die Erinnerungen abzurufen, die vor der Gedächtnislücke lagen. Irgend etwas war während der Behandlung einer Frau – wie hieß sie doch gleich? Natalie – Manson? Teilen? – passiert. Und dann hatte er sich auf Peter Morays Drängen nach Hause begeben und ins Bett gelegt. Und dann? An mehr konnte er sich nicht erinnern.
Die Tür öffnete sich leise. »Nun, wie fühlst du dich, Victor? Nicht so gut, hm? Kopf wie ein Fußball? Übelkeit, hm? Schwester, sorgen Sie für ein bißchen mehr Licht.«
Victor erkannte die Stimme sofort. »Matt, bitte nicht diesen Doktor-Patienten-Ton!«
»Hm, stört dich wohl? Nun, das ist Teil des Syndroms. Aber ich kann dich zumindest in einem beruhigen: die Röntgenaufnahmen bewiesen, daß du dir glücklicherweise nicht das geringste gebrochen hast, allerdings hast du einen häßlichen Bluterguß am Hinterkopf.«
Victor zuckte zusammen und blinzelte, als die Jalousien hochgezogen wurden und helles Tageslicht ins Zimmer strömte, und er das lächelnde Gesicht Matt Boyles deutlich sehen konnte. Er wußte, daß der Freund trotz seines gewollt clownhaften Benehmens ein ausgezeichneter Arzt war.
»Jedenfalls wirst du am Leben bleiben, aber du brauchst mindestens einen Monat absolute Ruhe – keine Arbeit, nichts.«
»So, wie ich mich im Augenblick fühle, denke ich gar nicht daran, dir zu widersprechen.«
»Eine Spritze kann dir nicht schaden. Äh, da fällt mir ein, daß so ein Polizeiheini mit dir sprechen will. Er bat mich, ihm Bescheid zu geben, sobald du wieder bei dir bist, aber ich kann ihn ohne weiteres vertrösten, wenn es dir lieber ist.«
»Nicht nötig. Vermutlich will er mich wegen des Unfalls ausfragen. Aber darüber möchte ich selbst gern etwas wissen. Im Moment ist da ein Riesenloch in meinem Gedächtnis.«
Matts Gesicht wurde sofort ernster. »Der Unfall – ja. Nun, vielleicht ist es besser, wenn du mit ihm sprichst, aber nur ein paar Minuten, hörst du? Und dann kriegst du die Spritze, ob du willst oder nicht. Bis später, Victor.«
Victor schaute Arzt und Schwester nach. Ihr Geist war ihm verborgen. Normalerweise mußte sein Psibewußtsein durch einen selbsterrichteten Schild zurückgehalten werden, um nicht dem Lärm aller Gedanken um ihn ausgesetzt zu sein. Doch nun war nur Schweigen um ihn, auch ohne Schild.
Psi war vom ersten Moment seines vorgeburtlichen. Ich-Bewußtseins ein Teil seines Lebens gewesen. Er hatte es ganz einfach zu seinen normalen Sinnen gerechnet. Doch jetzt war es als Folge seiner Verletzungen verschwunden, und es war unmöglich zu sagen, ob dieser Zustand von Dauer oder nur zeitweilig sein würde. Blind oder taub zu sein, wäre eine Tragödie, aber selbst dafür gab es Möglichkeiten eines Ausgleichs. Für Psi jedoch gab es keinen Ersatz, denn das Psibewußtsein umfaßte so viel mehr als nur die normalen Sinne. Ohne es wäre er verdammt in einer grauen, flachen Welt in seinem eigenen Schädel isoliert zu leben. Solange diese Invalidität anhielt, waren ihm die meisten Dinge, die ihm das Leben lebenswert machten,
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