Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
wie eine wohlerzogene Frau, das heißt anständig!«
»Und wie benimmt man sich anständig? Etwa wie Sie es getan haben?«
»Ja.«
»Aber genau das mache ich ja! Oder hatten Sie etwa keine uneheliche Tochter?«
»Du bringst dich in Verdammnis, wenn du so mit mir redest!«
»Nicht mehr als Sie!«
»Schweig! Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
»Eben was ich bin! Eine Person mit all ihrem Recht, das Leben zu leben, wie es ihr paßt. Lassen Sie mich endlich in Ruhe, ich kann Sie nicht mehr ertragen! Mehr noch, ich verabscheue Sie, ich habe Sie immer verabscheut!«
Damit sprach Tita die magischen Worte aus, die Mama Elena endgültig vertreiben sollten. Die imposante Erscheinung begann zu schrumpfen, bis nur noch ein winziges Licht übrigblieb. Je mehr sie schwand, desto stärker spürte Tita, wie sich ihr Körper, der geschwollene Leib entspannte und die Schmerzen in der Brust nachließen. Die vorher so verkrampften Muskeln in der Körpermitte gaben endlich dem ungestümen Drang ihrer Menstruation nach.
Diese seit so vielen Tagen zurückgehaltene Erleichterung linderte auf einen Schlag ihr Unwohlsein. Beruhigt atmete sie auf. Sie war nicht schwanger.
Das kleine Licht, zu dem Mama Elena zusammengeschrumpft war, begann nun in rasender Geschwindigkeit herumzuwirbeln. Es durchschlug das Fenster und schleuderte wie ein wild herumschießender Feuerwerksfrosch auf den Patio hinaus. In seiner Trunkenheit bemerkte Pedro die Gefahr nicht rechtzeitig. Völlig zufrieden trällerte er »Estreilita« von Manuel M. Ponce unter Titas Fenster, umgeben von Revolutionären, die ebenso benebelt waren wie er. Gertrudis und Juan sahen genausowenig das Unglück voraus. Wie frisch verliebte Jugendliche tanzten sie im Licht einer der zahlreichen Petroleumlampen, die über den ganzen Patio verteilt waren, um das Fest zu erleuchten. Da näherte sich der in atemberaubender Geschwindigkeit kreiselnde Feuerwerkskörper Pedro und zerschmetterte die Lampe, die ihm am nächsten stand, in tausend Stücke. Das brennende Petroleum ergoß sich in Windeseile über Pedros Gesicht und den gesamten Körper.
Tita, die soeben die nötigen Vorkehrungen für die einsetzende Menstruation getroffen hatte, hörte den Höllenlärm, den Pedros Unfall verursachte. Sie stürzte ans Fenster, öffnete es und sah Pedro als lebende Fackel über den ganzen Patio rennen. Schon holte Gertrudis ihn ein, riß mit einem Ruck den Rock von ihrem Kleid ab, bedeckte Pedro damit und schleuderte ihn zu Boden.
Tita wußte gar nicht, wie sie die Treppe heruntergelangt war, denn in nur wenigen Sekunden fand sie sich auf einmal an Pedros Seite wieder. Gertrudis zerrte ihm gerade die qualmende Kleidung vom Leib. Pedro schrie vor Schmerzen laut auf. Sein Körper war von oben bis unten voller Verbrennungen. Gemeinsam nahmen ihn einige Männer vorsichtig hoch, um ihn in sein Zimmer zu tragen. Tita ergriff Pedros einzige nicht von Brandwunden verunstaltete Hand und wich nicht mehr von seiner Seite. Als sie die Treppe hinaufstiegen, öffnete Rosaura die Tür ihres Schlafgemachs.
Sie hatte einen beißenden Geruch nach verbrannten Federn wahrgenommen. In der Absicht, unten nachzusehen, war sie zur Treppe gegangen und dort auf die Gruppe gestoßen, die Pedro in eine Rauchwolke gehüllt nach oben trug. An seiner Seite Tita, die herzzerreißend schluchzte. Rosauras erster Impuls war, ihrem Mann zu Hilfe zu eilen. Tita versuchte sofort, Pedros Hand loszulassen, damit Rosaura an ihn herantreten konnte, doch da entfuhr Pedro unter Stöhnen:
»Tita, geh nicht fort, laß mich nicht allein!«
Zum ersten Mal hatte er Tita geduzt.
»Nein, Pedro, das werde ich nicht tun.«
Tita griff wieder nach seiner Hand, wobei sie und Rosaura sich einen forschenden Blick zuwarfen. Dann hatte Rosaura verstanden, daß sie dort nichts mehr zu suchen hatte, zog sich in ihr Zimmer zurück und schloß sich ein. Eine Woche lang ließ sie sich nicht mehr blicken.
Da Tita sich von Pedros Seite weder trennen konnte noch wollte, trug sie Chencha auf, Eischnee mit Öl und genügend rohe, gut zerstampfte Kartoffeln zu bringen. Dies waren die besten ihr bekannten Heilmittel gegen Verbrennungen. Der Eischnee wird mit einer feinen Feder auf die verletzten Stellen aufgetragen und ausgewechselt, sobald er angetrocknet ist. Als zweites legt man Umschläge mit rohem Kartoffelbrei auf, um die Entzündung zu mildern und die Schmerzen zu lindern.
Die ganze Nacht verbrachte Tita damit, diese Hausmittel
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