Essen kann jeder
probiert. Mein Qualitätsurteil lautet: Farbigkeit: »schal-fahl« bis »gräulich-gräulich«; Konsistenz: »außen erst ein bisschen schmierig, innen aber schleimig«; Aussehen: »zur Boulette verarbeitete Wasserleiche«; Geruch: »angenehm abwesend«; und der Ge schmack? Man muss schon sehr hungrig sein, um das Zeug wirk lich lecker zu finden. Möglicherweise lässt die Landwirtschafts-Gesellschaft die Produkte von bekifften Computerfreaks auf der »Langen LAN-Nacht der Rollenspiele« testen.
Wir sehen: Über Geschmack lässt sich streiten und deshalb auch über den Wert einiger landläufiger Siegel. Was sagt es mir, wenn die Kartoffel aus »kontrolliertem Pfanni-Anbau« kommt? Klar klingt das toll, und es wäre eine fiese Unterstellung zu behaupten, die phonetische Ähnlichkeit zu »kontrolliertem Bio-Anbau« sei mehr als bloßer Zufall. Kontrolliert ist kontrolliert. Fragt sich nur: Wie kontrolliert wer eigentlich was bei Pfanni? Wachen da unabhängige Sachverständige über Pestizidrück stände, oder schickt die Firmenleitung einmal wöchentlich einen Azubi aufs Feld: »Schau mal, ob bei den Kartoffeln alles in Ordnung ist?«
Selbst auf Billig-Eigenmarken wie zum Beispiel »Gut und günstig« von Edeka prangt heute stolz die Auszeichnung »geprüfte Spitzenqualität«! Doch geht diese geprüfte Spitzenqualität nicht über die gesetzlichen Vorgaben hinaus – das gibt Edeka auch offen zu. Das Siegel bedeutet also nicht anderes, als dass die Produkte halten, was der Gesetzgeber befohlen hat. Das ist nicht gerade ehrgeizig, oder? Da fände ich es ehrlicher zu schreiben: »Auch wenn es im Grunde nicht unserer allgemeinen Firmenpolitik entspricht, haben wir uns bei diesem Frischkäse an die Lebensmittelvorschriften gehalten. Bei dem Mozzarella können wir aber für nichts garantieren.«
Also seien Sie kritisch bei der Beurteilung von Siegeln, die oft mehr Schein als Sein sind. Es gibt natürlich auch einige sehr gute Label, die eine unabhängige und gewissenhafte Zertifizierung gewährleisten. Doch welche das sind, können Sie als Konsument mit dem bloßen Auge nicht herausfinden. Deswegen kaufen Sie bitte keine Siegel, über die Sie sich nicht vorher informiert haben. Es kann gut sein, dass Ihre eigenen Vorstellungen von ökologischen, sozialen oder qualitativen Standards stark abweichen von den Vorstellungen der Menschen, die mit diesen Produkten Geld verdienen wollen. Und legen Sie Ihren Fokus beim Supermarkteinkauf auf einige wenige Siegel. Ich persönlich achte nur auf Umweltsiegel, Fair-Trade-Siegel und Prüfsiegel unabhängiger Stiftungen. Den Rest sollte man gar nicht beachten.
Doch letztlich frage ich mich auch hier: Warum hilft die Politik uns Konsumenten nicht? Wäre es nicht besser, wenn wir die Label gar nicht benötigten? Wäre es nicht besser, wenn man hohe ökologische, soziale und sonstige Standards für Waren als Voraussetzung gesetzlich festlegte? Und wer dagegen verstößt, bekäme vom Ministerium für Verbraucherschutz »Sauereisiegel« verpasst? So ähnlich wie der grüne Punkt. Für den Anschluss an das Duale System für die Müllentsorgung müssen die Unternehmen auch bezahlen. Warum sollte sich das bei den übrigen Kollateralschäden des globalen Wirtschaftssystems anders gestalten? Wenn ein Hersteller mit seinen Produkten weiterhin seine Mitmenschen ausbeuten, die Umwelt zerstören oder seine Kunden verarschen will, ist das vollkommen in Ordnung. Das ist Kapitalismus. Er sollte dafür nur eine Lizenz erwerben müssen. Seine Produkte würden gekennzeichnet: Bei Niedriglohnsklaverei, Kinderarbeit, Landraub, Verhinderung von gewerkschaftlicher Organisation und Verstoß gegen die internationalen Arbeitsschutzbestimmungen gäbe es dann für die Billigschokolade aus Ghana als Label den fetten Blutspritzer. Bei Urwaldrodung, Giftspritzerei, absurder Verschwendung von Wasser, Energie und sonstigen natürlichen Ressourcen zierte ein Orang-Utan-Baby mit zertrümmertem Schädel die Weihnachtskerzen aus Palmöl. Und für Lebensmittelpanscherei, dubiose Lobbyarbeit, miese Marketingtricks und Verbrauchertäuschung wird der Diät-Analogkäse mit einem schönen, dampfenden Scheißhaufen prä miert. Damit käme endlich Licht in den Siegeldschungel. Für die Industrie und ihre Aktionäre wäre das natürlich die Apo kalypse, aber für den Rest der Welt eine echte Hilfe.
10 ALLES BIO!
Wir betreten eine Art Marktstand. Holzkisten mit Obst und Gemüse stehen auf grünem Kunstrasenteppich. Ein riesiges
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