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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Weber
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Statt verwerfliche Produkte nicht zu kaufen, entscheidet sich der empörte Konsument gezielt für Waren, die moralisch erhaben sind. Zum Beispiel Krombacher Pils. Die Großbrauerei war der Vorreiter in Sachen karitativer Konsum. Schon 2002 hieß es: »Mit einem Kasten Bier können Sie einen Quadratmeter Regenwald retten.« Die versteckte Logik dahinter: »Je mehr Bier ich trinke, desto mehr Regenwald rette ich.« So erzählten mir Freunde stolz, sie hätten auf einem Festival-Wochenende das gesamte Kongobecken renaturiert! Wenn sie sich da mal nicht getäuscht haben: Laut Regenwald-Report werden jährlich mehr als zehn Millionen Hektar Tropenwald abgeholzt. Das sind 100 Milliarden Quadratmeter. Das heißt, es müssten täglich in Deutschland 274 Millionen Kisten Krombacher getrunken werden, um den gegenwärtigen Verlust an Regenwald zu kompensieren. Eine Aufgabe, die vielen jungen Naturschützern wahrscheinlich die Leber kosten wird.
    Auch wenn Krombacher für diese Aktion eher belächelt wurde, hat das Modell doch Schule gemacht. Heute kann man im Supermarkt alles unterstützen: Mit Mineralwasser werden Brunnen in Indien ausgehoben, mit Schokolade die Schulbildung afrikanischer Kinder finanziert und mit Babybrei Säuglingsstationen in Osteuropa gebaut. Mittlerweile richte ich meinen täglichen Bedarf an konkreten Hilfsprojekten aus. So überfliege ich meinen Einkaufswagen und sage: »Fein, mit der Zahnpasta habe ich ein SOS-Kinderdorf mitfinanziert! Und mit den Früh stücksflocken eine Jugendheim-Sporteinrichtung. Was fehlt noch? Stimmt, die Käsecracker für Landminenopfer in Bosnien.«
    Das Paradies kann da entstehen, wo sich Hedonismus und Humanismus tatkräftig die Hände reichen.
    Ein Ende ist nicht in Sicht: Marktforscher erkennen eine steigende Nachfrage nach Fairness. Nicht mal die Lebensmitteldiscounter können sich dem entziehen – manche gründen sogar ihr eigenes Label, wie zum Beispiel Lidl. Ein Unternehmen, das berühmt ist für seine exzellenten Arbeitsbedingungen und üppigen Gehälter. Denn mit moralischen Produkten kann man sündhaft viel Geld verdienen. Schließlich gehört eine tadellose Imagepflege zu den wesentlichen Säulen des modernen Marketings. So beißt der Konzern dann in den sauren Apfel und zahlt den Kaffeepflückern in Afrika einen Cent mehr fürs Kilo. Kein Problem, zum Ausgleich können sie die Milchbauern in Bayern weiter durch Preisdumping ausbeuten. Marktwirtschaftlich muss sich die Fairness auf alle Fälle rechnen.
    Ich muss zugeben, ich fühle mich als Konsument langsam echt ein bisschen überfordert. Wie soll ich damit umgehen, dass von meiner Kaufentscheidung auf einmal das Wohl der Welt abhängt? Da denkst du einmal nicht richtig nach, kaufst am Bahnhofskiosk einen Flasche Kakao und schwups – schon wieder stapft irgendwo in Ghana ein ABC-Schütze bewaffnet durch den Busch. Die Politik wälzt das schlechte Gewissen auf uns Verbraucher ab. Das ist unfair! Warum sorgen die Regierenden nicht dafür, dass internationale Regeln für einen gerechten Handel und internationale Standards eingeführt werden? Oder zumindest eine verbindliche Regelung, was genau als Fair-Trade-Produkt deklariert werden darf. Fair ist kein geschützter Begriff wie bio. Ein Bioschwein, dem gentechnisch veränderter Mais verfüttert wurde, hat vor Gericht mehr Chancen als ein hungernder Teepflücker. Fair ist relativ: Während der eine Konzern es fair findet, dass auch in seiner Niederlassung in Kolumbien ein Betriebsrat gewählt wird, finden es andere Unternehmen schon fair, nach einem Streik dem Gewerkschaftsführer die Beerdigung zu bezahlen. Der eine Konzern hält Kinderarbeit für eine Sauerei, der andere meint, in einem armen Land wie Bangladesch arbeitslos zu sein sei auch für einen Neunjährigen kein Spaß.
    Sie werden sich jetzt denken: »Das hört sich aber negativ an.« Meint der Philipp etwa, man soll kein Fair Trade kaufen? Um Gottes willen, natürlich sollen Sie das. Der Marktanteil dieser Produkte liegt in Deutschland gerade mal bei einem Prozent. Und das, obwohl laut Umfrage 50 Prozent der Deutschen den fairen Handel unterstützen wollen. Also jeder will’s, aber keiner tut’s. Das ist natürlich bitter. Denn hinter dieser Idee steht im Wesentlichen die Zahlung von Mindestpreisen, Mindestlöhnen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Verbot von Kinderarbeit und manchmal sogar die Finanzierung von Bildungs- und Sozialprogrammen. Und wenn Sie fairen Handel unterstützen wollen, sollten

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