Essen kann jeder
irgendwie Stil: In eine knackige Karotte zu beißen ist ein geradezu erotischer Akt. Aber versuchen Sie mal eine Weißwurst zu zuzeln und dabei gut auszusehen. Da haben Sie keine Chance.
Ich muss bekennen, aufgrund der erschlagenden Argumente beschloss auch ich vor drei Jahren, die Finger von der Wurst zu lassen. Kein Schnitzel kam über meine Lippen, keine Bulette entweihte meine Zunge, es galt: »Ade, du stolzer Sauerbraten, holdselig waren deine Gerüche. Doch du bist ein Relikt aus vergangener Zeit. Verzicht auf Fleisch ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Verfressenheit. Wir gehen jetzt einer anderen Welt entgegen. Einer Welt, die besser ist!« … Bis auf das Essen.
Das Problem war: Schon nach acht Wochen hatte ich derart an Gewicht verloren, dass meine Freundin – selbst strenge Vegetarierin – mir drohte, sie würde mir persönlich ein Schwein in der Badewanne schlachten, wenn ich mir nicht sofort etwas blutiges Muskelgewebe, von welchem Geschöpf Gottes auch immer, besorgen würde. Denn statt nur auf Fleisch zu verzichten, habe ich gar nichts mehr gegessen. Ich entschuldige dies ein wenig mit meinem Beruf: Wenn man seine Nahrung selbst zubereiten kann, schafft es jeder Anfänger, auf Fleisch zu verzichten. Doch als Kabarettist bin ich acht von sieben Tagen in der Woche unterwegs. Das heißt, ich bin bei meiner Ernährung auf die Gastronomie angewiesen. Fahren Sie mal durch die deutsche Provinz und sagen in einer bürgerlichen Wirtsstube, dass Sie kein Aas essen. Da schaut der Ober Sie an, als hätten Sie einen Sprengstoffgürtel unter dem Jackett. Die Speisekarten lesen sich wie glühende Manifeste für die Tilgung jeglichen tierischen Lebens von dieser schönen Erde. Keinen Salat, der nicht unter Bergen von Putenkadavern begraben würde, kein Flammkuchen ohne Speck, keine Linsensuppe ohne Wurst und keine Spinatnudeln ohne Lachs. Ich muss harsche Kritik an der deutschen Gastronomie üben. Wenn es um vegetarisches Essen geht, sind manche Köche an Einfallslosigkeit und Ignoranz kaum zu überbieten. Und ich schließe da auch die besseren Restaurants mit ein. Erst vor Kurzem bekam meine Freundin bei einem Fünf-Gänge-Gelage – während der Rest der Runde sich an Flusskrebstartar mit Kresseschaum schadlos hielt – einen Beilagensalat hingeknallt, den selbst »Horsts Frittenröste« im Frankfurter Bahnhofsviertel nicht schlechter hinbekommen hätte.
An alle Köche da draußen: Vegetarier hassen ihr Essen nicht! Es gibt deshalb keinen Grund, ihnen labbriges Gemüse mit einer Mehlschwitze als ernsthafte Alternative für Rehrücken im Blätterteigmantel zu verkaufen. Selbst der blondeste Küchen bulle schafft es, aus Jakobsmuscheln, Lammnüsschen und Gänse stopfleber ein Menü zu zaubern, das kleine Geister beeindrucken mag. Fakt ist: An den vegetarischen Gerichten erkennt man wahre Meisterklasse!
Aber trotz aller gastronomischen Entbehrungen blieb ich eisern. Ergebnis: Nach einem Jahr konnte ich an gar nichts anderes mehr denken als an totes Tier. Nachts habe ich von Blutwürsten auf winzigen Füßchen geträumt, die von mir mit Messern und Gabeln durch die Tübinger Innenstadt gejagt wurden. Ich habe ganze Nachmittage vor Dönerbuden verbracht, nur um die Moleküle von gebratenem Fleisch zu inhalieren. Ernüchternd musste ich feststellen: Ich war auf Entzug. Mein Körper schrie nach tierischem Protein. Nie wieder rösche Bratwürste? Nie wieder knuspriger Speck? Nie wieder der Sau das Brät aus der eigenen Darmhaut saugen? Rauchen ist so leicht aufzugeben, das habe ich schon zwanzigmal geschafft. Warum komme ich von den Buletten nicht runter? Ich habe gelesen, im Fleisch sei reichlich Tryptophan vorhanden, das im Körper zu Serotonin umgebaut wird – derselbe Stoff, den das Hirn bei Haschischkonsum ausschüttet. Eine Schweinshaxe macht also im Grunde nicht satt, sondern stoned. Das heißt aber auch: Ab dem ersten Happen ist man süchtig. Die Scheibe Gelbwurst, die mir die Metzgerin im zarten Alter von drei Jahren in den Mund schob, war mein erster Schuss.
Dann habe ich etwas getan, was ich nur in Ausnahmefälle zu tun pflege: Ich habe nachgedacht. Es konnte doch nicht sein, dass ich mich mein Leben lang mit Selbstvorwürfen geißele, nur weil ich hier und da mal eine Wurststulle kauen möchte. Das Problem musste doch zu lösen sein. Das Schöne am menschlichen Verstand ist, dass er immer vernünftige Gründe finden kann, sein unvernünftiges Verhalten nicht zu ändern. Warum
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