Essen mit Freunden - Roman
und blickte hinaus auf den Schneemann im Hinterhof. Möhrennase, Kohleaugen, Ãrmchen aus Tannenbaumzweigen. An einem hing noch Lametta. Ihr Herz raste. »Wie bald?«
»In zwei Wochen. Am Wochenende.«
Schweigen.
»Luise?«
Schweigen.
»Jetzt ist diese blöde Verbindung â«
»Nein, ist sie nicht.« Luise räusperte sich. »Für wen soll ich kochen?«
»Ein Pärchen bei mir im Haus. SupersüÃ! Sie ist total verzweifelt. Es geht um ein Essen für insgesamt vier Personen. Seine Eltern. Sonntags zum Mittagessen. Es ist eigentlich wie für uns. Nur ist die Schwiegermutter in spe etwas heikel. Darum dachte ich, das ist ein Fall für dich.«
»Danke, Sybille«, sagte sie zögernd und schaute auf den Kalender. Zwei Wochen. Warum nicht? Im Grunde war es wirklich nicht anders, als für ihre Freunde zu kochen. Vier Leute, das war doch genau das, was sie schon seit Jahren tat und was sie zukünftig tun wollte. »Gut, ich mach's!«
»Prima. Das habe ich ihr auch schon gesagt.«
»Du hast was gesagt?«
»Dass du's machst. Und jetzt lege ich auf. Ich habe ihr nämlich schon deine Nummer gegeben. Sie heiÃt Katharina. Sie wird bestimmt gleich anrufen.«
Es knackte am anderen Ende. Kein Tschüs. Auf den Tannenbaum-Armen des Schneemanns landeten zwei Meisen und zuppelten am Lametta. Ein kleines Sonntagsessen, heikle
Schwiegermutter. Luises Knie zitterten immer noch. Sie war sich nicht sicher, ob vor Aufregung oder vor Freude. Die Meisen zeterten und das Handy ebenfalls. Sie schaute aufs Display. Unbekannte Nummer. Luise holte tief Luft, bevor sie zum ersten Mal laut aussprach, was sie seit Neujahr geübt hatte:
»Essen mit Freunden, Luise Blum â was kann ich für Sie tun?«
âKracherle
Luise stieg langsam die Treppe hoch. Unzählige Male war sie schon an dieser Wohnungstür vorbeigegangen. Sybille wohnte seit vielen Jahren im vierten Stock, Katharina und Benni waren erst im Sommer im zweiten eingezogen. Vermutlich war Luise ihnen schon mal im Hausflur begegnet. Dass ihr erster Auftrag ausgerechnet hier sein sollte, gab ihr ein beruhigendes Gefühl. Sybille in der Nähe zu wissen hatte etwas Gutes â und das Vertrauen, das Sybille in sie setzte, ebenfalls. Luise schaute noch einmal an sich hinunter. Seriöse Kleidung, klassisch, nicht zu bieder. Alles in Ordnung. Sie klingelte.
Eine Frau Ende zwanzig öffnete. Zart, blass, sympathisch.
»Komm rein«, sagte sie und führte Luise ins Wohnzimmer. Klare Linien, angenehm unterbrochen durch einige alte Möbel, vermutlich Erinnerungsstücke, viele Bücher und geschmackvolle Nebensächlichkeiten, ein Raum, in dem offensichtlich gern gelebt wurde.
»Setz dich doch. Kaffee oder Tee?« Katharina deutete auf das riesige Sofa.
Luise entschied sich für Tee und versank zwischen weichen Kissen, als sie Platz nahm. Ihr schwebte das Wort Wohnlandschaft durch den Kopf. Nähme man die Bedeutung von Worten ernst, wäre dieses Sofa sicher ein Landstrich in der Toskana, weiche Sommerbrise, Blick auf Weinberge, üppige Mohnblumenfelder in mildem Licht. Ein Ort, von dem man nicht so schnell wieder fortwollte.
»Nimmst du Milch oder Zucker?«, fragte Katharina, die kurz den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Nein, nichts. Danke.«
Die Wohnung war ähnlich geschnitten wie Sybilles, zweieinhalb Zimmer mit Balkon, nur war sie wegen der Kastanie vor den Fenstern etwas dunkler.
»Wollt ihr das Essen hier machen?«, fragte Luise, als Katharina den Tee eingeschenkt hatte. »Oder habt ihr noch ein separates Esszimmer? Denn in der Küche könnte es in Anbetracht der Lage wohl etwas schwierig werden.«
Die Lage war einer Dummheit Bennis geschuldet. Als seine sonst sehr korrekte und auf Konventionen bedachte Mutter an Weihnachten wieder einmal beharrlich ignorierte, dass Benni keine Frau fürs Leben mehr suchte, lobte er seine Freundin wie schon so oft in den höchsten Tönen, um seiner Mutter klarzumachen, dass er diese Frau bereits in Katharina gefunden hatte. Nur hatte er diesmal noch eingeflochten, wie gut sie kochen könne. Was nicht stimmte. Was er wusste â und was seine Mutter insgeheim wohl ahnte. Als Bennis Eltern zu seinem Geburtstag ihren Besuch ankündigten, lieà seine Mutter am Telefon wie nebenbei die Bemerkung fallen, wie sehr sie sich schon auf das Essen freue. Seitdem war Krisenstimmung
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