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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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sie spürten, dass etwas in der Luft lag. Vor ihnen standen Häppchen, Salate und Fingerfood, doch wagte keiner zuzugreifen. Essenseinladungen bei Luise waren immer etwas Besonderes. Sie verstand es, die Seelen glücklich zu machen, und auch wenn die Mägen noch so voll waren, war die Stimmung ungezwungen. Diesmal jedoch war die Atmosphäre anders als sonst. Ernsthafter. Bedeutend. Alles wirkte wie ein durchdachtes Arrangement. Wie ein Gemälde. Wie das opulente Bühnenbild eines alten, französischen Kinofilms. Die drei Gäste ließen stumm ihre Blicke schweifen über die kleinen Kartoffelspieße mit Kräutern, die Etagere mit gefüllten Weinblättern, marinierten Zucchini und eingelegten Auberginen, das Schälchen mit Tintenfischsalat, den Ruccola mit grünen Bohnen und gerösteten Mandeln, die Pflaumen im Speckmantel. Eigens für Anne gab es kaltes Hühnchenfleisch mit Walnusssoße, das sie so gern mochte und das sie sofort mit Luises Spontaneinladung versöhnte. Im Kerzenlicht dampfte eine kleine Frittata mit Mangold, bei der Thorbens Gedanken an Sugar
babe so schnell zerschmolzen wie der Fontina-Käse im Teig. Auf einem Teller daneben glänzten Feigen mit Mascarpone unter goldfarbenem Honig, bei deren Anblick Sybille leise seufzend ihre Diätpläne über den Haufen warf. Über allem schwebte der Duft von warmem Weißbrot mit Rosmarin.
    In die erwartungsvolle Stille hinein knallte schließlich der Korken des Champagners, den Luise eigentlich für den Geburtstag ihrer Mutter besorgt hatte, um an Mitternacht stilecht mit ihr anzustoßen. Da sich das aber erledigt hatte, wollte sie nun etwas anderes feiern: sich selbst! Die Flasche hatte die letzten drei Wochen wie ein Mahnmahl auf der Kommode im Flur gestanden. Als sie am zweiten Weihnachtstag zum wer-weiß-wievielten Mal daran vorbeigegangen war und das orangefarbene Etikett in ihrem Augenwinkel einem Warnschild gleich aufleuchtete, traf sie die Erkenntnis wie ein Blitz: Warum immer das Beste bis zum Schluss aufheben? Warum das Besondere nur für die anderen? War sie selbst denn keinen Champagner wert? Dem Knall des Korkens folgte Luises Toast, der das einleiten sollte, was sie an diesem Abend zu sagen hatte. Das, worüber sie seit dem Ausfall der Fernbedienung gegrübelt hatte und das in ihrer Fantasie aufgegangen war wie ein gut gekneteter Hefeteig. Das Gestalt angenommen hatte. Das all den vergangenen Wochen, Monaten, vielleicht sogar den ganzen fünfundvierzig Jahren Luise-Leben eine Wendung geben würde, einen roten Faden, einen Sinn. Sie goss ein, reichte die Gläser herum und hob ihres.
    Â»Auf Neues und Gutes«, sagte sie dann feierlich und sah in die Runde. »Auf euch und auf mein Essen mit Freunden .«
    Â 
    Nachdem sie die Schüsseln und Schälchen geleert hatten und von Champagner auf Wein umgestiegen waren, hatte Luise ausführlich von ihren verpfuschten Feiertagen, dem Zusammenbruch – ihrem eigenen und dem der Fernbedienung – und von ihren Gedanken über das Glück und über das Kochen erzählt.
    Â»Das hört sich so an, als ob du seit Weihnachten nichts gemacht hättest außer Kochen und Backen.« Anne sah sie entgeistert an, und in ihrem Gesicht hielten sich Verwunderung und Belustigung die Waage.
    Â»Quatsch! Ich habe auch etwas anderes getan«, konterte Luise. Dann stockte sie kurz. »Ich war einkaufen und in der Bibliothek«, fuhr sie dann nach einer kleinen Pause fort, »habe in alten Kochbüchern gestöbert, meine Zeitschriften sortiert und Rezepte abgeheftet. Dann habe ich mir nur so aus Spaß Web-Seiten von Catering Services angeschaut und habe Angebote und Menüs verglichen, aber nichts hat mir gefallen. Im Internet klingt das immer so professionell und hochglanzpoliert. Trotzdem hatte ich bei allem, was ich da gesehen habe, den Geschmack von Soßenbinder auf der Zunge. Außerdem kochen die meisten für Hochzeitsfeiern, Firmenjubiläen, Turnvereine. Das interessiert mich absolut nicht. Aber kochen will ich. So viel war mir irgendwann klar. Also habe ich überlegt, was ich anders machen würde als die. Besser. Habe mich gefragt, für wen ich eigentlich kochen wollte, wenn ich Catering machen würde. Und ich habe mich auch gefragt, was ihr wohl sagen würdet, wenn ich euch von dieser Idee erzähle. Wie ich es euch sagen würde. Hier am Küchentisch, dachte ich sofort. Bei Wein

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