Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
zuckte die Schultern,
bevor er mit der ihm eigenen Seelenruhe hinter den Vorhang aus Kunststoffperlen
trat, der die behelfsmäßige Kochnische von seinem Schlafbereich trennte. Dort
begann er, in den Schränken zu klappern.
„Ich werde uns einen Tee bereiten. Dann kannst du mir
in Ruhe erzählen, was es ist, das dich so… beschäftigt.“
„Nein. Danke.“
„Nichts zu danken, mon cher.“ Baptiste goss Wasser aus
einem Kanister in den Kochtopf, den er erst nach reiflicher Überlegung einem
halben Dutzend anderer vorzog. Er drehte den Gashahn auf und entzündete mit
einem Feuerzeug die Flamme auf dem Herd. Als das Wasser zu kochen begann,
öffnete er eine Blechdose, die sich äußerlich in nichts von den restlichen
Zwanzig unterschied, und schüttete eine übertrieben große Menge des Inhalts
hinein. Fast augenblicklich durchdrangen die ätherischen Öle der Melissa officinalis
die ohnehin schon schwere Luft in der Hütte. „Bon. Was quält dich?“
„Nichts.“ Und das entsprach absolut der Wahrheit, wenn
man bedachte, was für ein Nichts Flint war. Daniel öffnete die Schmuckschatulle
und schloss sie wieder. Tatsächlich hübsch, obwohl ein verblödetes Nichts für
die Arbeit verantwortlich war. Er legte das Kästchen neben sich auf Baptistes
Bett.
„Letzten Monat hast du unser Mahjongspiel verpasst“,
bemerkte der Priester. „Das sieht dir nicht ähnlich.“
Daniel schwieg.
„Ich könnte einfach in dein Gehirn eintauchen und die
Antworten dort suchen, mon ami.“
„Bei dem Versuch würdest du sterben, Baptiste.“
Der Priester zeigte sich wenig beeindruckt. Er lachte
nur wieder und schüttelte den Kopf.
lonelyangel trat durch die offen stehende Gittertür
ihres provisorischen Stützpunkts und rümpfte wie immer die Nase. Dieser
Gestank. Nicht auszuhalten. Hier moderten ganze Generationen von toten Ratten
vor sich hin. Dazu war alles faulig und nass, vermutlich drang schon seit
Jahrhunderten Grundwasser von irgendwo her in das Gemäuer. Oder war es die alte
Hexe, die Spielchen mit lonelyangel trieb?
Leider funktionierte das Teleportieren unter die Erde
nicht. lonelyangel und ihre Handlanger mussten deshalb über die morschen
Leitern klettern und die stinkenden Gänge durchqueren, wenn sie in den Kerker
wollten. Und das, nachdem sie mindestens zwei Zwischenstopps machen mussten, um
überhaupt hierher zu gelangen. Die Strecke war sogar für lonelyangel zu weit,
um sie in einem Stück zu bewältigen und oftmals hatte sie auch noch Antonio im
Schlepptau, denn er beherrschte das Teleportieren überhaupt nicht.
lonelyangel riskierte einen Blick auf die
ausgemergelte, alte Hexe, ging aber an ihr vorbei, als sie den Schlüssel auf dem
Tisch liegen sah. Das dritte Amulett. Oh lieber Himmel, konnte es wahr sein?
Sie zog das neue Notebook aus der Tüte und stellte es
auf den OP-Tisch, von dem aus sie Jonah jailed nachher anchatten würde.
„Sind die Amulette also endlich fertig.“ lonelyangelwusste genau, dass die alte Kröte sie sehr wohl verstand, auch wenn sie
sich weigerte, irgendetwas anders als diesen affigen kreolischen Dialekt zu
sprechen. „Werden sie auch wirklich funktionieren?“
„Na los, mon ami, trink.“
Daniel starrte auf den dampfenden Becher, den Baptiste
ihm reichten. Er schüttelte den Kopf.
„Trink. Der Tee wird deine Nerven beruhigen.“
„Er besteht aus den getrockneten Blättern der
Melisse.“
„Wie ich sage: gut für die Nerven. Gut.“
Daniel nahm den Becher.
Baptiste seufzte.
„Es macht keinen Sinn, den armen Flint ins Grab zu
bringen, n’est pas? Wer soll in Zukunft all die wertvollen Steine neu
einfassen?“
„Flint wird es jedenfalls nicht tun.“
Baptiste schwieg. Er wartete. Seine blasierte Ruhe
trieb Daniel auf die Palme.
„Nika war bei ihm... Allein. Ich kam, um das Amulett
abzuholen, die Spange. Für einen Anhänger oder einen Ring sind es zu viele
Steine und ein Armband erschien mir nicht ausreichend sicher. Dinge gehen ihr
verloren, manchmal…“
„Die Spange als Fassung ist eine gute Wahl. Alors, was
hat Flint getan?“
„Flint war… er hatte… Phantasien…“
„Er phantasierte darüber, noch einmal jung zu sein?“
Baptistes Mundwinkel zuckten. Daniel richtete seinen
Blick auf die Schatulle.
„Nein. Seine physische Verfassung hat er kreativ in
die Szenerie eingesponnen.“
Baptiste begann zu lachen. Schallend und laut. Daniels
Laune sank von der Palme in den Keller. Sein Freund bemerkte es und nahm
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