Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
würden sich in seine
Haut schlagen, wenn er sich Meejaels Willen nicht beugte.
Sie war ein Monster in Menschengestalt, und sie würde
ihm mit bloßen Zähnen das Fleisch von den Rippen ziehen. Ganz genau so, wie er
es vor seinem inneren Auge sah.
„Daniel!“
Nein. Nicht.
Daniel hörte Baptistes Stimme, und seine Angst wurde
noch größer. Wie konnte der Priester so dumm sein, dieses Zimmer zu betreten,
in dem soeben ein Massaker stattfand? Weshalb rannte er nicht um sein Leben?
Und weshalb erwachte Julian nicht? Auch er musste sich
retten, bevor das Monster mit Daniel fertig war und sich ihm zuwandte. Sicher
verfärbten sich die Laken bereits vom Blut. So wie Meejaels Wangen und ihr
triefendes Kinn.
„Daniel! Bei allen Engeln, Daniel, mon dieu… w ach
sofort auf! “
Daniel schlug die Augen auf und fand sich in seinem
Schlafzimmer wieder. Er befand sich Downtown Miami, nicht im Londoner West End.
Kein Gluthitze, kein blutverschmiertes Monster auf ihm, kein schlafender Julian
weit und breit. Nur Baptiste, blass und entsetzt.
Es dauerte, bis der Schmerz und die Angst sich soweit
zurückzogen, sodass Daniel seinen Herzschlag zu mäßigen imstande war. Erst dann
gelang es ihm, sich aufzurichten. Schweiß tropfte von seiner Stirn in die
Augen.
Erbärmlich.
Er untersagte seinem Körper die Transpiration und fuhr
mit zitternden Fingern durch sein feuchtes Haar. Baptiste drehte Flints
Schmuckschatulle mit Nikas neuem Amulett darin zwischen den Fingern.
„Du hast von ihr geträumt“, murmelte der Priester
leise, „nicht wahr? Du hast von dieser Kreatur geträumt, weil ich dich an sie
erinnert habe.“
Zwölf
Nika lief über den gefrorenen Rasen. An den Stallungen
verlangsamte sie das Tempo, um die Pferde nicht zu erschrecken, indem sie wie
ein Sturm hereingefegt kam. Die Kälte kroch durch ihre Fußsohlen und durch ihr
dünnes Shirt, und plötzlich wurde Nika klar, wie still es war.
Sonst war es so gut wie unmöglich, nicht wenigstens
zwei Stallknechten über den Weg zu laufen, noch bevor man ein einziges Pferd
sah.
„Nika?“ Daniel hatte sich der Dringlichkeit halber
direkt in Julians Empfangshalle teleportiert. Er wartete einen Augenblick, aber
nichts geschah. „Nik!“
Weshalb antwortete sie nicht? Er sah auf seine Uhr. Na
schön, es war noch früh. Julian, jedenfalls, lag sicher noch in seinem Bett und
schlief.
„Nik, …bitte!“ Er seufzte und begann, die
Treppenstufen zum oberen Geschoss hinaufzusteigen. Langsam, um ihr die Chance
zuzugestehen, ihm entgegenzukommen, bevor er sich genötigt sah, an ihre
Zimmertür zu klopfen. Andererseits konnte er Julian wecken und das Amulett
einfach bei ihm abgeben. Aber er stand bereits vor ihrer Tür, also nahm sich
zusammen und klopfte an.
„Nika, bitte wach auf.“ Möglicherweise stand sie unter
der Dusche. Allerdings hätte Daniel in diesem Fall das Rauschen des Wassers
wahrgenommen.
Daniel aber hörte nichts. Nichts. Deshalb öffnete er
nach einiger Überlegung sein Bewusstsein und tastete zögernd die unmittelbare
Umgebung ab.
Nein. Er spürte ihre Anwesenheit nicht. Also tastete
er weiter, fand Nika aber nirgendwo. Im gesamten, gottverdammten Trakt nicht,
während Teresa in London verseuchte Pflanzen beweinte und Julian seelenruhig
schlief. Ein déjà-vu hätte nicht nervtötender sein können.
„Das kann nicht wahr sein“, murmelte er und drückte
die Türklinke herunter.
Natürlich. Kein wehrloses, sterbliches Engelskind
schlafend im Bett. Verflucht noch mal!
Nur hier und da ein leises Schnaufen. Bis auf die
Pferde war im ganzen Stall niemand zu sehen. Nika schlug die Arme um ihren
Oberkörper, aber die Kälte kroch nur immer weiter durch den dünnen Stoff. Sie
zitterte. Hätte es sie umgebracht, eine Jacke und ein paar Schuhe anzuziehen,
bevor sie davongestürmt war, um Elise zu suchen?
Endlich an der Box angekommen, atmete Nika auf. Da
stand die Stute und wieherte sie leise an. Dann legte die Stille sich wieder
über den frostigen Morgen und Nika wurde klar, dass sie wieder einmal Julians
Anordnungen ignoriert hatte. Sie war allein unterwegs. Ohne Amulett. Im Stall,
der nun mal kein voodoogeschützter Ort war.
Was, wenn sie alle recht hatten? Was, wenn schon im
nächsten Augenblick ein Fremder neben ihr auftauchte. Jemand, der hier nichts
zu suchen hatte? Jemand, der sie töten wollte?
Aus dem Augenwinkel registrierte sie eine Bewegung,
und obwohl sie auf der Stelle weglaufen wollte, konnte sie nicht.
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