Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
Sie war wie
gelähmt.
„Was um Himmels willen tust du hier?!“ Daniel presste
hastig die Kiefermuskulatur zusammen, um nicht noch mehr zu sagen. Er zwang
sich, auszuatmen und still zu sein.
Sie war unversehrt.
Himmel noch mal! So langsam wurde er Nikas unbedachter
Alleingänge überdrüssig. Diese Frau brachte ihn aus der Fassung.
„Oh, Gott sei dank! Daniel.“ Vollkommen unerwartet und
entgegen ihrer Art stürmisch, umarmte sie ihn. Ihr Puls raste. Sie zitterte.
Nur mühsam widerstand Daniel dem Impuls, über ihren Rücken zu streichen.
Wie lange stand sie schon hier draußen, neben ihrer
Stute, und setzte sich der Gefahr und den Minusgraden aus?
„Was tust du hier?“, wiederholte er, ruhiger diesmal,
und schob sie von sich. „Wieder ein Ausritt, und wieder allein? Oder wäre eine
Unterkühlung fürs Erste ausreichend?“
„Tut mir leid, ich…“ Sie verstummte.
Ihre Brust hob und senkte sich schnell unter diesem
Schlafshirt, das an der Brust spannte und unter dem Bauchnabel einen Streifen
sommersprossiger, heller Haut aufblitzen ließ, wann immer sie einatmete. Der
lockere Hosenbund bekam wenig Halt an den schmalen Hüften, aber ihr Aufzug war
mit Abstand das Kleidsamste, was es je gegeben hatte. Besser, er konzentrierte
sich auf den Saum ihres Pyjamas, an dem schmutziges Stroh hing.
Nicht wie Flint. Nicht auf den Rest.
Nika folgte seinem Blick an sich herunter. Sie hatte
es eben eilig gehabt, meine Güte, und leider konnte sie nicht beamen.
„Ich musste nach Elise sehen“, erklärte sie. Aber das
wusste er wohl schon, schließlich stand sie an der Box.
„Ehrlich.“ Daniels Miene wirkte angestrengt. Seine
Augenbrauen waren zusammengezogen, die Lippen auf einander gepresst. Von
silbrigen Seen keine Spur.
Nika wusste, was er dachte.
Es war ja immer das Gleiche, nicht wahr? Geh nicht
allein, Nika. Wo ist dein Amulett, Nika. Himmel noch mal, Nika, warum setzt du
dich nicht in einen Glaskasten, da bist du wenigstens sicher.
„Nik…“
Was sollte dieses Seufzen? Sie war nicht seine kleine
Schwester. Sie brauchte diese erzwungene Nachsicht nicht und erstrecht keine
Predigt. Wenn er glaubte, dass sie keine Angst um ihr Leben hatte, dann
täuschte er sich gewaltig.
Aber das hier war doch kein Leben!
„Weißt du was?“, blaffte sie und wusste selbst nicht,
worüber sie so genervt war. „Ich hab´s satt! Weshalb bringen wir es nicht ein
für alle Mal hinter uns? Wer auch immer mich sucht,… soll er mich doch endlich finden.
Das spart uns Zeit und Nerven.“
Elise wieherte leise. Daniel strich über ihre Mähne
und klopfte sanft auf ihren Hals. Er kraulte ihr Ohr. Elise schnaufte
zufrieden, während Nika vor sich hin brodelte.
Ganz plötzlich sah Daniel wieder sie an.
„Du bist keine Last.“
Nein, natürlich nicht.
„Das weiß ich! Für Clares Tochter spielt ihr alle gern
den Babysitter. Sogar MTec beschäftigt sich mit meiner Sicherheit und mit
meinem genetischen Problem.“
„Nicht der gesamte Konzern.“ Er lächelte. Ein ganzes
Lächeln. „Nur die besonders Befähigten.“
„Das ist nicht witzig.“ Und trotzdem war ihr Ärger wie
weggeblasen.
Das war es also. Das Lächeln. Es war wie ein Geschenk,
weil es Daniels Züge milderte und so die gewohnte Distanziertheit aufhob. Sein
Lächeln schlich sich in seine Augen und funkelte von den grauen Gletschern auf
sein Ziel herunter. Mit diesem Lächeln setzte Daniel sicher alles durch, was er
wollte.
„Hier.“ Er reichte ihr das Kästchen, das Flint ihm
gegeben hatte. Nika nahm es.
„Das Amulett? Es ist also fertig.“
„Ja. Dieses hier verfügt über die gleichen Funktionen
wie dein altes; es schützt dein Bewusstsein vor Manipulation und versteckt dich
vor allen, die dich suchen. Darüber hinaus kann es allerdings noch etwas mehr.
Das neue Amulett wehrt zusätzlich auch physische Angriffe ab. Damit bist du
wieder frei, Nika. Du kannst zurück nach Hause. Nach Paris.“
Nika schluckte.
Paris war nicht ihr Zuhause gewesen, sondern ein Exil.
Eines, das verloren war.
„Danke, Daniel.“
„Bist du glücklich dort?“
Nein.
„Es war okay.“ Wie hätte ein Tapetenwechsel jemals das
klaffende Loch zukleistern können, das in ihr aufriss, jedes Mal wenn er ein
Zimmer verließ und Nika zurückblieb? Sie klappte den Deckel des
Schmuckkästchens hoch.
Die Spange war… unfassbar. Das Funkeln der vielen rosa
Steine war überwältigend. Aber nicht annähernd so fesselnd wie der Blick, den
sie auffing, als sie von dem
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