Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
meinst Daniel?“ Sie nahm Nika die Reste des
zerfetzten PEZ-Papiers aus den Fingern. „Ihr habt euch wegen der Beerdigung
gestritten?“
„Unfassbar, oder?“ Aber worüber wunderte sich Nika
überhaupt? In all den Jahren hatte Daniel kaum mehr als Begrüßungsfloskeln mit
ihr ausgetauscht. Nika wusste gar nichts über ihn.
Fünfzehn
Nika setzte sich auf eines der Bänkchen, die an
beinahe jedem der Fenster im Schloss standen und dezent die Heizkörper
ummantelten. Sie waren mit Kissen dekoriert, so dass man wunderbar darauf
sitzen und Trübsal blasen konnte, während man auf Julians Ländereien
hinausstarrte. Hübsch. Sogar, wenn man nichts als Dunkelheit sah.
Obwohl die Heizung unter ihr dampfte, fror Nika in der
ausgeleierten Jogpants und dem uralten Sweater. Darunter trug sie noch den
Bikini.
Scheiße, was machte sie noch hier? Sie hätte längst
Koffer packen und einen Flug irgendwohin buchen sollen.
Aber wohin?
Miss Kitty kam, strich um ihre Beine und sprang dann
murrend neben sie auf die Bank. Nika hob sie auf ihren Schoß.
„Wo sollen wir jetzt hin?“
Die Katze schloss die Augen und fing zu schnurren an.
Nika strich über ihren Rücken.
An einem Neuanfang, ganz egal wo, war wirklich gar
nichts verlockend. Neue Wohnung, neue Uni, neue Stadt.
Und was genau hatte sie nach dem Studium überhaupt
vor? Sie hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht. Ihr ganzes Leben lang hatte
sie nur darauf gewartet, dass ungeahnte Fähigkeiten sich in ihr entwickelten.
Fähigkeiten, die denen der Engelsblüter in nichts nachstanden. Aber sie waren
ausgeblieben, und ihr Dad hatte so was schon immer geahnt. Es lag an diesen
Antikörpern.
Als der Despot gutgelaunt am Wohnzimmer vorbeikam, saß
sie immer noch da. Er kam ihr gelegen.
„Jewels.“
„Guten Abend, Liebes.“ Julian blieb an der Tür stehen
und grinste fröhlich. „Casual Saturday?“
„Casual Sunday. Mitternacht ist schon vorbei.“
Im Gegensatz zu ihr war Julian wie immer tadellos
gekleidet. Zu dem schwarzen Armani trug er eines seiner vielen granitfarbenen
Hemden und die silbergraue Krawatte, die Nika am liebsten von allen mochte. Sie
glich Daniels Augen.
Nika wandte sich wieder der Dunkelheit hinter dem
Fenster zu. Der Winter war so kalt. So trostlos.
„Weshalb habt ihr euch getrennt?“, fragte sie.
„Getrennt?“ Julian setzte sich neben sie. Sein Blick
fiel auf die Spange in ihrem Haar. „Ach…! Du meinst Daniel. Mich und Daniel.“
„Wie lange wart ihr ein Paar?“
„Wen kümmert´s?“ Julian zuckte mit den Schultern.
„Mich, Dad!“
Seit sie denken konnte, hatte ihr Vater Affären
gehabt. Mit Männern, mit Frauen, mit allem, was seine Aufmerksamkeit erregte.
Das störte Nika nicht. Aber Daniel auf dieser langen Liste zu wissen, machte
sie verrückt. Sie starrte Julian an, wild entschlossen, sich diesmal nicht von
ihm überfahren zu lassen. Egal, wie unbequem das Thema für ihn war.
Julian zögerte eine Weile, bevor er nickte.
„Wir waren nicht lange zusammen, höchstens ein Jahr.
Eine Zeit, die sorglos begann und ohne unser Zutun dunkel wurde, trotz allem,
was sie uns am Ende gebracht hat. Manchmal steht man gemeinsam eine Krise
durch, aber wenn sie vorbei ist, dann sieht man einander an und weiß, dass sie
einen Abgrund geschaffen hat, den man nicht mehr überbrücken kann.“
Kitty erhob sich, gähnte, machte einen Buckel und
spazierte dann langsam von Nikas Schoß auf Julians, wo sie sich schnurrend zu
einer Kugel zusammenrollte.
Nika zog die Beine an und schlug die Arme darum. Aber
alles Reiben half nicht. Ohne Kittys warmen, kleinen Körper war die Kälte nur
noch schlimmer.
„Was für eine Krise war das? Was ist mit euch
passiert?“
Julian nahm eine der Wolldecken, die auf dem Bänkchen
lagen, und wickelte sie um Nika. Das vorbereitete Brennholz im Kamin entzündete
sich. Es knackte und zischte vor sich hin, so als hätte es nicht die geringste
Lust zu brennen.
„Es war die Umwandlung“, erklärte er und fuhr mit den
Händen über die Augen. „Es begann damit, dass Daniel die Aufmerksamkeit eines
absolut verrückten und gefährlichen Monsters auf sich zog. Meejael. Tatsächlich
ist dieses Biest ein Engel, einer von denen allerdings, die der Mensch als
Teufel versteht. Unter all den Millionen von Sterblichen hat dieser Teufel sich
Daniel ausgepickt, und ausgerechnet Daniel wollte nicht. Er wollte Meejael
nicht.“
Julian schluckte. Eine Weile war er völlig abwesend.
Nika bemerkte, dass seine
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