Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
Hände zitterten. Seine sonst oft kühlen, wasserblauen
Augen schimmerten.
„Dad…“, flüsterte sie. Ihre Stimme war rau. Irgendetwas
schnürte ihr die Luft ab. „Dad. Was hat sie mit ihm gemacht?“
„Sie hat ihn… Sie hat ihn für die Abfuhr bestraft.
Clare erschien, um das Schlimmste zu verhindern. Wenn ein Engel die Reinheit
seiner Seele durch den Mord an einem Sterblichen beschmutzt, dann kann er nicht
länger bei ihnen bleiben. Er wird ausgestoßen.“
„Gutes System“, flüsterte Nika. „Ich hoffe der Versuch
eines Mordes hat auch schon gereicht, um das Dreckstück zur Rechenschaft zu
ziehen.“
Die Kälte wurde immer unerträglicher, und weder Decke
noch Kaminfeuer konnten das ändern. Nika zog die Wolle fester um sich, während
Julians Blick ins Nichts abtauchte. Seine Mundwinkel hoben sich, aber nichts
daran sah aus wie ein Lächeln.
„Sogar die gefallenen Engel haben Einfluss und Macht.
Der ganze blöde Haufen fühlt sich berufen dafür, Glaubensführer zu sein. Aber
wo so viele Alpha-Persönlichkeiten aufeinandertreffen, da gibt es auch
Konflikte. Die Herrschaften hatten ordentlich Krach.“
„Worüber?“
„Ist das nicht offensichtlich? Schau dich doch um in
der Welt, all die gegensätzlichen Philosophien. Heidnische, vedische, sonstige
Götter. Moderne Sekten. Das Alte Testament gegen das Neue, und Buddhas Lehren
interessieren auch keinen mehr. Gott hat nur sehr wenige Regeln; jeder hat
einen freien Willen und diese Art von Mist. Eigentlich werden nur zwei Vergehen
tatsächlich bestraft: der Mord an Normalsterblichen bedeutet den Ausschluss aus
dem Paradies, der Mord an ihresgleichen führt zur Hinrichtung durch das Schwert
der Vergeltung.“
„Chaos, also.“ Nika stand auf. Sie musste sich
bewegen. Und wenn auch nur vom Fenster bis zum Kamin und wieder zurück. „Und
Daniel? Ist er okay? Hat er das überwunden? Seelisch, meine ich.“
„Ja.“
„Wirklich, Dad?“
„Ja.“ Wieder lächelte Julian, und diesmal war es echt.
Stolz blitzte in seinen Augen. „Ich habe ihm eine Therapie beim Dalai Lama
verschafft. Der Mann hat einen echt guten Job gemacht.“
„Ein Glück. Aber was wurde aus… Meejael?“
„Keine Ahnung. Perfekt wäre, wenn man sie im Vorgarten
der Hölle an den Zaun gekettet hätte, wo sie hingehört. Realistisch ist wohl
aber, dass man sie in Ruhe schalten und walten lässt, solange sie im Paradies
nichts anstellt.“
„Vielleicht ist sie schlau genug, es niemals soweit
kommen zu lassen.“
Julian biss die Zähne so fest aufeinander, dass Nika
sie knirschen hörte.
„Nein. Eines Tages blüht ihr das Schicksal, das sie
verdient.“
So wichtig war ihm das?
„Du liebst ihn also noch.“
Er seufzte und schwieg.
„Trotz Mom?“
„Es ist möglich, mehr als nur ein Wesen zu lieben.
Deine Mom sah das auch so.“
Meine Güte. Ménage à trois, also? Das passte zweifellos zu Julian, aber zu Daniel?
„Warum hat Mom euch umgewandelt und wurde dann selbst
menschlich? Was hatte das für einen Sinn?“
Julian zog die Augenbrauen hoch.
„Hm? Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.
Nachdem deine Mutter Daniel ihr Blut gab und so sein Leben rettete, wandelte
sie uns andere zu seiner Unterhaltung um und verschwand. Sie machte uns zu
einer Reisegesellschaft durch die Zeit, während sie selbst nur unregelmäßig
zurückkam und nie lange blieb. Die Liebe, die deine Mutter und mich verband,
entwickelte sich langsam. Ernst wurde es erst ein paar Jahre vor deiner Geburt.
Damals war es längst vorbei mit Daniel. Einvernehmlich. Ohne schmutzige
Wäsche.“
„Du hast ihn nicht benutzt und dann fallenlassen.“ Im
Gegensatz zu seiner sonstigen Vorgehensweise. „Danke, Dad. Ich… ich liebe ihn
auch.“
„Das weiß ich.“ Julian strich über ihr Haar. Er beugte
sich vor, angelte nach ihrer Hand und küsste sie. „Was ich eigentlich sagen
wollte, Liebes, wir werden eine Party geben.“
Themenwechsel? Und was für einer.
„Auf keinen Fall.“ Nika entzog ihm die Hand. „Nein,
Dad. Nein! Zuerst verbietest du mir, zu Sophies Beerdigung zu gehen, und jetzt
soll ich eine Party feiern? Vergiss es.“
„Ich habe nicht gesagt, wir würden feiern. Vielmehr
möchte ich deine Verfolger anlocken.“
„Toller Plan, Jewels.“
„In der Tat, es ist ein toller Plan. Oder willst du
bis ans Ende deiner Tage hoffen, dass dir niemand im Dunkeln auflauert?“
„Ich habe doch jetzt wieder ein Amulett. Und dieses
hier ist noch viel stärker als das alte, ich bin
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