Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
atmete tief durch. Ihre Finger berührten den glatten, hölzernen Handlauf
der breiten Treppe, die in die privaten Gemächer der Millers führte. Laute
Musik dröhnte aus einem der Zimmer im oberen Stockwerk. Wie praktisch. Der Lärm
würde möglicherweise Schreckenschreie übertönen und lonelyangel dadurch mehr
Zeit verschaffen.
Achtzehn
„Hi.“ Teresa
legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. Sie musterte erst Nika, dann
Daniel.
Nika senkte die
Lider. Ihre Knie waren weich. Ihre Hände zitterten. Unter normalen Umständen
hätte sie ihrer Elfe gleich alles brühwarm erzählt. Aber in diesem Augenblick
wünschte sie sich nichts weiter, als alles stehen und liegen zu lassen und an
diesen Ort zurückzukehren. Den Ort aus Mandel und Licht. Aber Julian Devons
Tochter zu sein hatte immer auch bedeutet, diszipliniert zu sein. Der Despot
wäre ausgeflippt, wenn Nika die Veranstaltung geschwänzt hätte.
Daniel stand
neben ihr, deshalb riss sie sich zusammen und nahm den Pappbecher, den Teresa
ihr reichte.
„Nicht mal
Musik?“, fragte Nika.
Daniel lächelte
und unterbrach seine Sondierung der Gäste, um ihr einen Blick zuzuwerfen.
„Wie auch
immer.“ Teresa deutete auf den stummen Baustellentanztee und seufzte. „Ihr
kommt spät.“
Sie schien
darüber nicht sehr glücklich zu sein. Daniel nahm die Musterung der Anwesenden
wieder auf, ohne das Gesicht zu verziehen.
„Keine fremde
Präsenz weit und breit.“
Nika sah sich
auch um, während sie an ihrem Cattier nippte. Einige wenige Gäste kannte sie
von irgendwoher, die meisten nicht.
Die Baustelle war brechend voll und die umgewandelten,
überirdischen Wesen mussten aufpassen, dass ihre
Haute Couture nicht an rostigen Nägeln zerriss, während sie unfreiwillig auf
Tuchfüllung gingen. Nika beschlich der Verdacht, dass Julian genau deshalb eine
Location wie diese ausgesucht haben könnte. Es machte ihm Spaß, Leute
aufzuregen.
Ganz plötzlich fiel ihr auf, dass sie noch nie an
einer dieser Zusammenkünfte teilgenommen hatte. Und wenn sie es sich recht
überlegte, dann schien keiner außer ihr über den eigenwilligen Austragungsort
dieses Meetings verwundert zu sein.
„Tess, wem gehört dieses… Gebäude?“
„Julian.“
Na klar. Wem sonst.
Die Umgewandelten quetschten sich so elegant wie eben
möglich um einander herum. Nika runzelte die Stirn.
„Haben eigentlich außer Mom auch andere Engel die
Essenz an Sterbliche verteilt? Ich meine, selbst wenn jeder von euch noch einen
Mischblüter erschaffen hätte... “
Teresa fischte einen Becher von dem Tablett eines
vermutlich normalsterblichen Kellners, der gemächlich an ihnen vorbeitrottete.
Sein Blick war trüb, er bewegte sich tranceartig. Das war sicher Julians Werk.
Bestimmt hatte er die Angestellten manipuliert. Wenn sie am nächsten Morgen
aufwachten, wussten sie garantiert nicht mehr, wofür sie ihr Geld bekommen
hatten.
„Du hast Recht.“ Teresa nahm einen Schluck. „Es gibt
viele Engelsblüter. Vom wem sie ihre Essenzen erhalten haben, wissen wir
nicht.“
„Könnt ihr die Fähigkeiten der anderen abschätzen?“
„Ja.“
„Es sei denn, sie verfügen über Amulette, die uns
abblocken“, bemerkte Daniel.
Teresa hatte den Becher schon geleert und hielt
Ausschau nach einem weiteren Tablett.
„Becky ist wieder nicht da“, bemerkte sie.
Daniel seufzte.
„Hast du das erwartet, Tess?“
„Wer ist Becky?“ Es interessierte Nika nicht wirklich.
Sie wollte nicht hier herumstehen. Sie wollte mit Daniel allein sein. Als
Teresa nicht antwortete, tat er es.
„Sie war eine Freundin. Es kam zu unvorhergesehenen
Komplikationen während ihrer Umwandlung, seither meidet sie uns.“
„Unvorhergesehene Komplikationen? So was höre ich zum
ersten Mal.“
„Sie war schwanger“, erklärte Tess mit ausdruckslosem
Gesicht. „Sie hat es uns verschwiegen. Sie verlor den Embryo.“
„Oh.“ Ja. Beeinträchtigungen gab es auch im Leben der
Engelsblüter. Vor allen Dingen für Mischblüter, die nur eine verwässerte
Version der Engelsessenz in sich trugen. Kinderlosigkeit war einer dieser
Nachteile, und dieser belastete sogar die reinblütigen Umgewandelten, wenn man
von Jonah und Madeleine absah. „Aber sie selbst wurde umgewandelt, diese
Becky?“
„Ja.“
„Meine Güte. Die Arme. Sicher würde sie die Zeit gerne
zurückdrehen, aber das schafft vermutlich nicht einmal der Engelsclub. Sicher
sind sie mächtig, aber sie sind keine Q.“
„Q?“
„Eine fiktive Spezies mit
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