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Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)

Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)

Titel: Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Youya Lo
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Finger an der Hose ab. „Ich habe keine Lust, mich mit Kindern
anzulegen. Julian, ich kenne ihre Mütter!“ Zumindest kannte sie ihre Gedanken.
Und Gefühle. Ihre Ängste und Hoffnungen. Und ihre allnächtlichen Gebete.
    Julian schüttelte den Kopf.
    „Nikki. Diese Jungs hier sind harmlos im Vergleich zu
denen, die vielleicht irgendwo da draußen auf dich warten. Du magst stärker
sein als viele Andere, aber du bist zimperlich. Die anderen nicht. Begreifst du
das? Du ziehst den Kürzeren, wenn du zögerst.“ Er deutete auf die Tür. „Mit
denen hier sollst du nur üben. Du musst sie nicht töten. Zieh ihnen einfach die
Ohren lang.“
     
    Ja, tolle Idee. Mit einer kleinen Schussverletzung in
der Stirn? Die Jungs hier waren nicht harmlos. Sogar ihre verzweifelten Mütter
wussten, dass die nicht nur spielen wollten. Dieser Slum war durchsetzt mit
Kriminellen. Diebe und Drogendealer in jeder zweiten Hütte.
    Julian ließ sich auf den Boden sinken. Er lehnte sich entspannt
gegen die dreckige Wand und probierte von Nikas Gebäck, während sie fluchend
aufstand, das vorsintflutliche Hängeschloss öffnete und zum ersten Mal seit
ihrer Ankunft in Rio ihre direkte Nachbarschaft vor sich sah. Mit eigenen
Augen, nicht durch die Augen der Leute.
    Soweit Nika das aus den Köpfen der Nachbarn
herausgehört hatte, musste seit ein paar Tagen der Karneval vorbei sein. Was
für ein Timing, denn jetzt regnete es wieder. Seit Tagen. Der lehmige Boden war
entsprechend durchgeweicht. Oberhalb ihrer Hütte und auch unterhalb erstreckte
sich die Wellblechkolonie in graugefleckten Reihen. Essensgerüche und Stimmen
schwirrten noch herum, Geschrei und in diesem Augenblick ein dumpfer Knall,
obwohl schon tiefste Nacht war. Weit unter ihr glitzerte Rio.
    Nika zögerte, hinauszugehen.
    „Weshalb bist du nicht gekommen, Dad, um nach mir zu
sehen?“
    „Weil du den Arsch von allein hochkriegen musstest.
Ich dachte es geht schneller, wenn du kein Badezimmer und kein Internet hast.“
    „Toll. Danke.“
    Nika stampfte seufzend davon.
     
    „Was willst du hier?“, fragte einer der Jungs und
starrte Nika herausfordernd an. César Santos, den Bauch voller Schmalzkringel. Ihm
war nicht klar, wie gefährlich Nika ihm tatsächlich werden konnte. Vielleicht.
    „Ich dachte, ich schaue mal nach dem Rechten“, murmelte
sie und blickte traurig auf den Jungen herab, der auf dem Boden lag und bereits
verblutete. Sein Herz gab den Kampf soeben auf. Die klaffende Wunde in seiner
Stirn stellte das Pulsieren ein.
    Trotz allem war Nika auch beruhigt festzustellen, dass
das menschliche Blut sie wirklich überhaupt nicht reizte, nicht einmal, wenn es
sich warm und frisch vor ihren Füßen ausbreitete.
    Aber weshalb? Mischblüter brauchten Blut.
     
    „Spinnst du, Schlampe? Verpiss dich!“, fauchte der andere,
der ältere der beiden Jungen, Luis Gomez, hager und abgeklärt, und trat einen
Schritt auf sie zu. Er hielt die Waffe in seiner Hand. Seine dunklen Augen
glitzerten im Mondschein. Er hob seine Hand und zielte auf Nikas Kopf.
    „Na toll. Das ist ausgerechnet die Stelle, von der ich
wirklich nicht weiß, ob ich sie wieder reparieren kann!“, stellte Nika fest,
wütend über sich und über Julians dramatische Lehrmethoden und auch über die
total verblödeten Jungs, aber vor allem darüber, dass einer von ihnen gerade
gestorben war. „Was ist überhaupt los mit euch Spinnern? Eure Mütter beten jede
Nacht darum, dass ihr gesund nach Hause kommt. Wie wollt ihr jemals wieder
Julios Schwestern unter die Augen treten, ihr Vollidioten!“
    Dann ließ sie, etwas unsicher aber immerhin, die Waffe
aus Luis´ Hand fliegen. So schnell, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Nika
vergewisserte sich, dass das gefährliche Ding zu weit weg lag, um mal eben
schnell wieder aufgeklaubt zu werden.
    Sie grübelte noch darüber nach, ob sie ihn bewusstlos
schlagen und dann zur Polizei schleppen sollte, als die Faust des Jüngeren sie
hart ins Gesicht traf.
    Nika stöhnte auf. Sie war viel zu perplex, um
überhaupt zu reagieren, deshalb gelang es dem Jungen, sich auf sie zu werfen.
Nika spürte den feuchten Schlamm in ihren Haaren, oder möglicherweise auch das
Blut des toten Julio neben ihr, und plötzlich wusste sie, was Julian mit
„zimperlich“ gemeint hatte.
    Sie musste ihren ganzen Willen zusammennehmen, um den
zähen, kleinen Burschen von höchsten dreizehn oder vierzehn Jahren
wegzuschleudern und gleichzeitig seinen hirnamputierten Gangboss auf Abstand

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