Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
atmete tief durch, bevor sie wieder
lächelte. „Grundgütiger, du bist echt anstrengend. Komm raus aus der Wanne,
Flipper. Denk nicht an die Vergangenheit.“
„Tsss! Da habt ihr Tattergreise ein Monopol drauf,
oder? Endloses Geschwafel von der guten alten Zeit.“ Nika grinste, bevor sie
wieder tiefer ins Wasser einsank. Eindeutig zu kalt.
Hatte Teresa etwa Geheimnisse vor ihr? Das wäre das
erste Mal, seit Nika denken konnte. Aber sie hatte Recht; Daniel ging Nika
nichts mehr an.
„Alte Leute erzählen sowieso immer das, was keiner
hören will. Das nennt man Altersstarrsinn, Tess. Ich beobachte das auch an
Julian.“
„Ach. Echt.“ Die alte Frau im Teenagerkostüm blieb
völlig entspannt. „Der Schnapsverteiler in der Candy Bar fragt bei jeder
Bestellung nach meinem Ausweis, also bin ich unbesorgt.“
„Tess.“ Nika entließ das duftende, dreimal aufgewärmte
Schaumbad mit einem Seufzer in den Abfluss. „Der Typ will nur wissen, wie du
heißt. Nicht, wie alt du bist.“
„Teresa Miller. Wie oft muss man das lesen, bis man es
sich merken kann?“
„Altersstarrsinn und Demenz. Ihr würdet euch super
ergänzen.“
„Vielen Dank.“ Teresa stand vom Boden auf und hielt
ihr ein Handtuch hin.
Nika nahm es, trocknete sich ab, zog sich saubere
Sachen an und … fühlte sich verloren. Sie hatte Zeit, das zu tun, was sie
wollte. Aber da war nur eine Sache, die sie wirklich wollte.
Wenn sie Daniel nur aus ihrem Kopf hätte löschen
können, so wie einen Namen aus dem Adressbuch.
„Lass uns das Beamen üben“, schlug Teresa vor und ließ
sich auf die Couch im Salon fallen. Sie griff in eine Kristallschale mit
Gebäck.
„Ich kann schon beamen“, brummte Nika und starrte auf
ihre Zehen. Nach einem Monat in Sneakern war sie jetzt lieber barfuss. „Ich bin
kein Mischblüter, oder? Sonst würde das gar nicht klappen, Mischblüter
teleportieren nicht.“
„Seit wir dich umgewandelt haben, bist du echt
scharfsinnig, Sherlock.“ Teresa seufzte. „Aber für´s Protokoll: einige wenige
Mischblüter beherrschen die Teleportation. Nicht perfekt. Aber es geht.“
„Wie kann das sein?“
„Ist abhängig von dem Reinheitsgrad der verabreichten
Essenz und den eigenen Anlagen.“
„Du meinst, man kann aus einem Esel kein Rennpferd
machen? So was in der Art?“
„Ja. Zunehmendes Alter scheint der Stärke der Kräfte
auch zuträglich.“
„Und meine Essenz? Ihr müsst eine reine Quelle für
mich gefunden haben. Einen Engel.“
„Wir hatten Glück. Sie stand zum Verkauf. Und jetzt
frag nicht weiter, Einzelheiten kenne ich nicht. Wie weit kannst du beamen?“
„Wie meinst du das, wie weit? Ich komme überall hin,
hast du doch beim shoppen gesehen.“
„Zum Shoppen habe ich dich mitgeschleppt, damit du
nicht verloren gehst.“
Nika nahm den Keks, den Teresa ihr reichte. Den letzten
aus der eben noch vollen Schale.
„Bist du auf Diät, Tess? Und wo ist Mickey Mouse? Ich
habe ihn schon seit Stunden nicht gesehen.“
„Halt die Klappe, Sherlock.“
Nika schob den Keks in den Mund.
Wenn sie schon Daniel nicht sehen konnte, dann
vielleicht Gwen, seine Mom. Vielleicht wusste sie, wie es ihm ging. Wo er war.
Und ob er schon jemand anderen hatte.
Außerdem wollte sie Madeleine sehen. Wieso saß sie
noch immer im Rollstuhl?
„Na gut, dann komm!“ Nika schloss die Augen und Teresa
ergriff ihren Arm.
Gemeinsam verschwanden sie aus der Hotelsuite und
materialisierten sich an einem warmen, sonnigen Ort. Nika spürte Salz in der
Luft. Weit unter ihnen toste ein Meer. Um sie herum eine blühende Mohnwiese,
vor ihnen thronte auf einer Erhöhung ein Pavillon, umschlossen von Rosenbüsche,
die so groß waren wie Bäume. Ihre Äste spannten sich um die Laube. Sie waren so
in einander verwachsen, dass man sie für einen Teppich aus weißen Blüten mit
dichtem Blätterwerk halten konnte, aber der Eingang gab einen Blick in das
Innere frei.
Es war eindeutig Daniel, der mit dem Rücken zu ihnen
in der Laube stand. Nika hätte ihn immer und überall erkannt. Er lehnte an
einem der umrankten Bögen. Neben ihm, auf einer Récamière, lag eine Frau. Ihre
Augen waren geschlossen. Ihre schwarzen Korkenzieherlocken fielen bis auf den Boden.
Sonnenbräune schimmerte durch eine Art Kleid, das rein gar nichts von ihrem bemerkenswert
weiblichen Körper verhüllte. Es war vollkommen durchsichtig.
Diese Frau war das schönste Geschöpf, dass Nika jemals
gesehen hatte. Wenn sie sich jemals eine Fruchtbarkeitsgöttin
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