Esther Friesner
Küche.
Ich wartete auf ihn, das Kinn auf die Faust gestützt, einen einzigen Klumpen im Magen, was in meinem Fall freilich nicht das geringste mit gedünsteten Lampreten zu tun hatte. Meister Gurf und Meister Benidorm hatten sich auch um mich kümmern wollen. Ich wußte noch nicht einmal, ob etwas mit mir nicht stimmte, hatte aber das Gefühl, daß das früher oder später unabänderlich der Fall sein würde. Ich ließ den Blick durch die verlassene Küche schweifen und fühlte mich schrecklich allein. Ja, ich vermißte sogar Velma und ihre Schöpfkelle.
»Weshalb muß man sich um mich kümmern?« stöhnte ich laut.
»Keine Ahnung«, sagte eine leise, ferne Stimme. »Hast du an die Möbel gepinkelt, oder was?«
»Was?« schrie ich und sprang von meinem Sitz auf. Die leere Küche warf das Echo meines Schreis zurück. »Wer ist da?« Da … da … da … ertönte die verklingende Antwort.
»Wo bist du?«
»Immer mit der Ruhe, Kendar, ich bin ja hier«, sagte Zoltan und trat aus den Schatten hervor, um sich wieder zu mir an den Tisch zu gesellen. »Tut mir leid, das. Ich habe eine ganze Weile auf dem stillen Örtchen gebraucht, um zu begreifen, das deine kleine, äh, Machtdemonstration aber auch wirklich das allerletzte Elemental aus dem Palast gescheucht hat. Das erste, was wir tun sollten, nachdem wir uns deines Problems angenommen haben, besteht darin, einen Trupp Wasserleuchter heraufzubeschwören, oder wir vergessen einfach das Spülen der …«
»Was habe ich denn für ein Problem?« schrie ich.
Zoltans Zähne bildeten eine dünne weiße Linie zwischen Schnauz-und noch schwärzerem Kinnbart. »Zum einen, würde ich sagen, dein aufbrausendes Temperament. Setz dich, bitte.« Ich tat es. »Allerdings würde ich doch meinen, daß du durchaus schon selbst weißt, welches Problem du hast. Du hast Meister Thengors Magik bekommen.«
»Habe ich nicht.« Doch noch während ich es aussprach, begriff ich, daß ich mich täuschte. Schließlich lagen die Beweise dafür über den ganzen zerstörten Palast verteilt vor.
»Ich meine, wenn er sie mir nicht gegeben hat, wie habe ich sie dann bekommen?«
»Denk doch mal nach«, sagte Zoltan und wedelte mit seinem Dolch über den Essensresten. Sofort begannen die Lampreten sich zu winden und zu verbiegen, bis sie sich zu einem geflochtenen Kranz um den Tellerrand gelegt hatten.
In der Mitte verschwanden die Stücke kalten Hammelbratens unter einem sich langsam ausdehnenden rosa Nebel, der sanft vor sich hinwirbelte, bis ich darin Meister Thengors Schlafgemach erblickte, wie es vor nicht allzu langer Zeit noch ausgesehen hatte. Dort lag mein Lehrer, hier schwebte die goldene Magikwolke, da standen seine Frau und die ihn betreuenden Heiler, da hinten warteten die Studenten, und da …
Da raste die Ratte, da raste ich, da rasten wir beide mitten durch das Herz der Magik, und da raste auch schon das Dach gen Himmel, als die ganze leuchtende Wolke in hundert verschiedene Richtungen auf einmal explodierte.
Ich hob meinen Blick von der Vision. »Oh!«
»Merkwürdiges Zeug, diese Magik«, meinte Zoltan grübelnd. »Die alten Texte erzählen davon, wie es war, bevor wir Zauberer lernten, sie uns gefügig zu machen. Damals war die Magik wild und ungezähmt. Manchmal konnte man sie sehen, manchmal auch nicht.
Es gibt viele Geschichten von Reisenden, die mitten in der Nacht auf einem einsamen, abgelegenen Weg eine leuchtende Wolke zwischen den Bäumen erblickten und sie fälschlicherweise für das einladende Feuer irgendeiner Bauernhütte hielten. Doch wenn sie darauf zu liefen, lief sie manchmal davon, manchmal zerbrach sie auch unter ihrer Berührung, und manchmal … blieb sie haften. Und wenn letzteres geschehen war, stellte der Reisende irgendwann fest, daß er die wunderbarsten Dinge vollbringen konnte, aber nur, wenn er bestimmte Worte aufgesagt und bestimmte Gesten vollzogen hatte.
Der Bursche, der als erstes den Zusammenhang zwischen der leuchtenden Wolke, den besonderen Worten und Zeichen und den richtigen Ergebnissen und Begriffen hatte, wurde zum Vater aller Zauberer.«
»Willst du damit sagen, daß die Magik von Meister Thengor … an mir kleben geblieben ist, als ich hineingelaufen bin?«
»Na ja, ich habe schließlich nie behauptet, daß du sie ihm regelrecht weggenommen hast.« Zoltan zwinkerte. »Obwohl man Magik ja tatsächlich einem anderen wegnehmen oder sie ihm rauben kann, sofern der Zauberer, der sie haben will, stärker ist als der Zauberer, der sie
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