Esther Friesner
regenbogenfarbenen Teppich, auf dem immer noch Grym saß. »Die sind doch zerflossen, oder?«
»So ist es dir erschienen.« Mystis Stimme klang angespannt. »Es geschieht aber nicht so ohne weiteres, daß eine Welfie dazu in die Lage versetzt wird, einen Sterblichen zu heiraten, Kendar. Die Zeremonie der Umwandlung muß in allen drei Phasen vollzogen werden. Die Flügel, die mir abgerissen wurden, waren ein Symbol des Versprechens, das wir beide abgegeben hatten, du und ich, selbst wenn du gar nicht wüßtest, daß du das tatest. Wenn wir nur die Bindung und die Segnung vollziehen, das Geschäft aber unerledigt bleibt, dann werden meine Flügel bluten.«
Scandal stupste mich am Knöchel. »Ich glaube, sie meint es ernst, Chef.«
»Ernst … ?«
»Ich glaube, wenn wir diese Hexe nicht töten, muß Mysti sterben.«
KAPITEL 16
»Aber sie trägt doch gar nicht Schwarz!« protestierte Scandal aus dem Gebüsch.
»Was soll denn das damit zu tun haben?« flüsterte Mysti.
Wir lagen eng gedrängt nebeneinander und teilten uns ein Loch in der winzigen Hecke, die das Hexenhaus umgab. Die Hexe selbst saß auf einer kleinen Holzbank direkt unter dem überstehenden Hüttendach. Sie hatte die Augen geschlossen und sah aus wie jede gewöhnliche, dickliche Frau mittleren Alters, die sich gerade von ihren Haushaltsarbeiten ausruhte. Sie trug ein grobes Kleid aus hellrosa Wolle mit blauen Rändern und hatte sich ein weißes Tuch ins Haar gebunden; nichts davon war auch nur annähernd schwarz.
»Hexen tragen aber immer Schwarz«, erwiderte der Kater.
»Und komische Mützen, so eine Art auf dem Kopf stehende Eiscremewaffel mit großer runder Krempe. Außerdem haben sie Warzen und manchmal eine grüne Haut, und wenn sie lachen, gackern sie, und häßlich … ? Junge, sind Hexen vielleicht häßlich!«
»Wie häßlich sind sie denn?« wollte Grym wissen.
»Häßlicher als die bucklige Kakerlake eines Kanalarbeiters.«
»Wahrlich, das ist ja der Inbegriff der Häßlichkeit«, stimmte der Barbar zu. Er schirmte die Augen ab und sah sich noch einmal die fragliche Dame an. »Ich möcht’ es nicht beschreien, doch mich deucht, wir haben nicht die rechte Hex’. Jenes Weib dort ist wohl keine große Schönheit, doch würde kein Mann aus meinem Stamm sie aus dem Zelte werfen, nur weil sie Kekse auf dem Lager ißt.«
»Das wird schwierig«, sagte ich.
»Was?« fragte Scandal.
»Sie umzubringen.«
»Hör mal, Kumpel, das Umbringen ist nicht die Schwierigkeit, sondern der Beschluß, jemanden umzubringen. Da, wo ich herkomme, ist Mord so leicht, daß selbst ein Kind ihn begehen kann. Und glaube mir, das tun sie auch!«
»Nein, schwierig daran ist, na ja, ich hatte eigentlich mit einem Ungeheuer gerechnet«, erklärte ich. »Du weißt schon, wenn die Hexe so schrecklich war, daß selbst die Welfies vor ihr wegliefen, dachte ich mir, daß sie irgendwie abstoßend sein müßte, widerlich, ekelerregend …«
Der Kater verpaßte mir einen Du-machst-wohl-Witze-Blick. »Du bist vielleicht ein Einfaltspinsel. Entweder das, oder du hast noch nie in einem Buch mit Fotos von Mördern geblättert. Das Böse latscht doch nicht immer mit einer Schreckensmaske in der Gegend rum, Bwana.«
»Du wirst wohl recht haben.« Ich blickte wieder zu der Hexe hinüber.
»Es ist ja nur, daß sie so viel Ähnlichkeit mit meinem Kindermädchen hat!«
Grym legte mir die Hand auf die Schulter. »Wenn es dir eine Hilfe wäre, o Meister Kendar, könnt’ ich fürbaß das Haupt ihr wohl vom Rumpfe trennen. Auch brauchtest du nicht zuzusehen.«
»Ich glaube kaum, daß eine Hexe, die einen ganzen Trupp Welfie-Bogenschützen geröstet hat, sich einfach zurücklehnen und zulassen wird, daß ein barbarischer Schwertkämpfer ihr irgend etwas vom Leibe trennt, fürbaß oder nicht«, sagte ich.
»Du vergißt, daß meine treue Klinge Grabräuber nunmehr von Magik strotzt.«
»Und du vergißt, mein großer Junge«, warf Scandal ein, »daß die Welfies Magik praktisch ausschwitzen und die alte Dame sie trotzdem kaltgemacht hat.«
»Wie wahr, wie wahr.« Grym wirkte niedergeschlagen.
»So brauchen wir fürbaß denn einen Plan.«
Scandal knuffte mich. »Was hat er eigentlich immer mit diesem komischen >fürbaß Was ist das überhaupt?«
»Ich glaube, das ist ein altes Blasinstrument«, erwiderte ich.
»Und ich glaube, deine Mutter hat dich als Kind in einen Eimer Dummsoße fallen lassen«, bemerkte der Kater und legte sich auf die Wurzeln des nächststehenden
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