Esther Friesner
Strauchs.
»Ich glaube, ich habe einen Plan«, warf Mysti ein. »Schritt eins besteht darin, daß wir möglichst bald aus diesem Gestrüpp verschwinden. Mich juckt es schon am ganzen Leib.«
»Das bin wohl ich, Liebes«, sagte der Strauch. »Das liegt nur an diesem herrischen giftigen Efeu. Wächst einfach über mich weg, über Wurzeln und Astwerk, bis sich mein Laub kaum noch rühren kann …«
Mysti schrie nicht, sie zog die Luft nur so scharf ein, daß sie damit der Hecke gleich mehrere Handvoll Blätter auf einmal abriß. Scandal machte einen Satz, buckelte, hielt eine Pfote schlagbereit hoch. Ein zarter neuer Schößling schoß aus einem der Schräucher hervor und wickelte sich peitschend schnell um seinen Bauch und riß ihn in die Luft, bevor er auch nur ausspucken konnte.
Andere dornenbewehrte kleine Zweige schlugen sich um Mysti und preßten ihr die Arme an die Seiten. Diesmal schrie sie tatsächlich, doch inzwischen war niemand mehr in der Lage, ihr zu helfen. Grym und ich hatten unsere eigenen Probleme. Genau unter Gryms Füßen schoß ein völlig neuer Strauch mit äußerst dornigen Ästen aus dem Boden, die unglaublich schnell um ihn herum wuchsen, bis er so aussah wie ein großer, verschwitzter Vogel in einem grünen Laubkäfig. Er versuchte, sich den Weg mit Grabräuber freizuhauen, doch der Busch wuchs stets nur außerhalb der Reichweite seines Schwerts, dann schoß er vor und umklammerte ihn so eng, daß der Barbar keinen Schwungraum für seine Klinge mehr hatte.
Und was mich betraf, den stolzen Herren über die größte Einzelladung Magik auf ganz Orbix, so wäre ich mit einer einfachen, alten Heckenschere um einiges weitergekommen. Auch um mich herum schoß ein grüner Käfig wie der von Grym empor, und die Äste verknoteten sich allerliebst über meinem Kopf, während meine Magik nichts anderes tat, als nur die am übelsten wirkenden Dornen abzuhalten.
Ich konnte Scandals entsetztes Gejaule vernehmen, aber das Blattwerk machte es unmöglich, allzuweit nach außen zu blicken. So konnte ich lediglich Gryms Käfig neben meinem ausmachen.
Und dann blickte ich in ein großes blaues Auge. »Ach herrje, Jawj, du bist aber auch wieder ein Dummchen«, sagte eine Stimme, so warmherzig und tröstend wie Lebkuchen frisch aus dem Ofen. Nicht die Spur eines Gackerns.
»Da bitte ich dich, Ausschau nach Feinden zu halten, während ich mein Mittagsschläfchen halte, und was tust du?
Nimmst ein paar Kinder gefangen!«
»He! Wen nennst du da ein Kind?« fragte ich und griff nach den Ästen. Das war ein Fehler. Erinnert ihr euch noch an diese Dornen?
Meine Magik sollte zwar mein Leben beschützen, aber wenn ich so blöd war, in einen Haufen bösartigsten Dornengestrüpps zu packen, hatte sie nichts dagegen.
Zum allererstenmal war mein Geheul noch lauter als Scandals.
»Ach du liebe Güte.« Das blaue Auge blinzelte. »Hast du dir weh getan, Söhnchen?«
»Mrng«, sagte ich, an einer Hand saugend. Dann machte ich mich über die andere her und fuhr fort: »Gurnf.«
»Also so was!« Das blaue Auge machte klimpernde Geräusche. »Ich sehe schon, das muß ich wohl verbinden. Du solltest wohl besser herauskommen.«
Eine dünne Linie aus knisterndem rotem Licht fuhr schnurgerade an der dornigen Wand meines Käfigs empor.
In einiger Höhe bog sie im rechten Winkel nach rechts ab und fuhr eine Weile fort, bevor sie noch einmal scharf rechts abbog und wieder nach unten fuhr. Ich roch verbranntes grünes Holz, dann fiel die türgroße Klappe aus der Käfigseite. Ich war frei.
Frei, mich der Hexe zu stellen.
»Hallo, Liebes«, sagte sie. »Komm nur raus, dann gebe ich ein bißchen Stachelschweinfett auf diese Schnittwunden, und danach werden wir ganz gemütlich miteinander plaudern.« Eins ihrer Augen war blau; das andere hatte die Farbe von dunklem Bernstein, was mich irgendwie nervös machte. Abgesehen von den Augen sah sie aus der Nähe mehr denn je meiner alten Kinderschwester Esplanadia ähnlich.
Ich rechnete schon damit, daß sie mir einen Schlag auf den Hintern verpassen würde, um mich danach zu umarmen und mir einen Keks zu geben.
Allerdings pflegte Esplanadia niemals, andere Leute in Dornensträuchern festzusetzen. Das Schlimmste, was sie zu tun pflegte, war, meinen Bruder Basehart mit einem Besen durchzuwalken, wenn er versuchte, mich herumzuschubsen. Sie hatten einen ziemlichen Besenverbrauch, bis Basehart schlau genug geworden war, mich nur noch dann zu verhauen, wenn Esplanadia gerade woanders
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