Esti (German Edition)
jedoch schaute er nur, schaute der Frau zu, er wartete, bis sie Schluss hatte, und dann gingen sie einander untergehakt davon.
Ich schaute sowohl ihm als auch der Frau zu, ich wartete – ich wartete auf nichts, nur dass die Zeit verging. Sie verging auch. Als ich verhaftet wurde und ihn sah, wusste ich sofort, dass er der Schläger war. Doch er war es nicht. Nicht er war der Schläger, er schlug nur immer mal zu. Versetzte einen Schlag. Er nahm auch dort seine Brille nicht ab, war still, bescheiden und höflich, in seinen Bewegungen lag etwas Unbeholfenes. Dort verging damals die Zeit nicht, doch dann begann sie wieder zu vergehen. Heutzutage gibt es solche Verhaftungen nicht mehr. Und auch nicht solche Kaffeekocherinnen. Ich trinke nicht, dabei wäre es gut. Ich trinke nicht, dabei müsste ich. Ich trinke nicht, ein Fehler. Doch tränke ich, machte das auch nichts wieder gut. Dieses »nichts« ist mein Leben.
Das Einander-untergehakt-Leben
Kornél Esti klingelt spätabends bei mir. Er ist bleich, nervös. Setzt sich auf meinen Schreibtisch. Sagt: Mein Sohn hatte dunkles Haar, auf seinem derben, ebenmäßigen Gesicht die Spuren von Windpocken aus der Kindheit; seine Augen waren sanft, groß, braun, seine Gestalt muskulös. Bei der Arbeit trug er blaue Leinenschuhe mit hohem Schaft. Auf den Tresen gestützt wartete ich dort oft auf ihn. Ein blondgelockter Mann mit breiten Schultern und groben Gesichtszügen. Selbst durch den blechartigen grünen Kunstledermantel hindurch konnte man seinen elastischen, von nicht gewöhnlicher Kraft zeugenden Körper erahnen – so hätte ich mich beschrieben, wäre ich gefragt oder bedroht worden. Ständig trug ich eine dunkle Brille; in meinen Bewegungen lag etwas Unbeholfenes, und immer war ich still, was wie Bescheidenheit und Höflichkeit aussah. Ich verbrachte Stunden über den Tresen gebeugt, zuweilen spazierte ich zur Kasse hinüber, kaufte bei der dort sitzenden Frau eine Packung Zigaretten, ging zurück zu dem Platz neben der Kaffeemaschine, wir wechselten ein paar Worte; meistens jedoch schaute ich nur, schaute meinem Sohn zu, ich wartete, bis er Schluss hatte, und dann gingen wir einander untergehakt davon. Ich dachte, alles sei in Ordnung. Dieses »alles« ist mein Leben.
Das Elender-Leben
Letztens sprachen wir mit Kornél Esti darüber, was das Traurigste gewesen ist, das wir im Laufe unseres Lebens erlebt haben. Er sah mich nicht an, erzählte: Einmal, als mein Sohn in der oberen Reihe arbeitete, ließ er mir beinahe einen Holzklotz vom Fokosch auf die Hand rutschen, und ich schrie ihn an, was machst du denn, du Elender. Den Elenden interpretierte er als Krüppel. Daraufhin lebte er auch so, bis er seinem unermesslichen Leid ein Ende setzte. Bedauerlicherweise kannte ich damals noch nicht jene Eigenschaft des Menschen, alles in die eigene Sprache zu übersetzen. Dieses »noch« ist mein Leben geworden.
Das Lauf-der-Dinge-Leben
Esti: Ich trank ein bisschen, wirklich wenig, polnischen Wodka, jedoch in der Früh, noch bevor der Hahn krähte, denn in der Nachbarschaft gibt es einen Hahn. Ich fuhr mit der Straßenbahn in die Stadt. Es dämmerte bereits, es war jener Augenblick, wenn die Gegenstände sich fast zwischen Helligkeit und Dunkelheit verlieren. Ich stand in der Tür und blickte hinaus. Hinter mir, in dem halb leeren, erleuchteten Wagen, erzählte jemand mit blecherner Stimme einem anderen etwas. Draußen zeigte die große Tafel eines Freilichtkinos in der Ecke des Parks die letzten Vorstellungen an; heruntergefallene Blätter lagen auf dem Erdstreifen des Gehwegs, und dieses flüchtige Rotbraun, das Grau der Baumstämme und das Schwarz der Erde schienen später, in einem anderen Ausschnitt, dasselbe Bild zu ergeben. Es war ein reines Bild, das reine Gedanken weckte. Ich dachte an meinen Sohn, seine Erfolge, Misserfolge, sein Leben und seinen Tod, und daran, dass dieser Sommer vorbei war, nicht mehr sein würde, aber, nun, das war der Lauf der Dinge. Dieser »Lauf« ist mein Leben.
Sommer-Leben
Inzwischen war es Morgen geworden, fuhr Esti fort. Ich war damals so alt wie mein Sohn jetzt. Beziehungsweise nicht jetzt, sondern vor einiger Zeit. Ein flachsblondes Mädchen stand neben dem Schweinestall und starrte aus dem Hof voller Unkraut heraus; dann wurde es hinter das Haus gerufen und lief hinein. Eine Viertelstunde später kam mein Zug. Ich war allein in einem Wagen mit gelben Holzbänken. Einige Minuten und der Zug wurde bei Tállya langsamer. Ich blickte
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