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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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sensibler Junge, und alle wollen nur Gutes, trotzdem münden die Dinge in eine Tragödie, genauer, die Ereignisse, die Zeche aber weht der bittere Küstenwind davon, während uns der Abspann Tränen in die Augen treibt, doch ich unterhalte mich nicht gern mit dir, weil du nicht der erhabenen Versuchung widerstehen kannst, das Gespräch, den Gang des Gesprächs auch nur einmal nicht auf mein Bestes lenken zu wollen, so dass ich, wenn wir uns unterhalten, nur auf diesen Augenblick warte, auf etwas anderes achte ich gar nicht, nur darauf, wann, wann du darauf zu sprechen kommst, wann du den Gang darauf lenkst, wann mein Bestes kommt. Armer Alter, du kannst nichts dafür, du bist Vater.
    Wir sprachen nicht miteinander, doch er schrieb regelmäßig Mails, zumeist schickte er Links, mit kurzen, geistreichen Kommentaren. Das bereitete mir immer ein großes Glück. Es war mir verboten zu antworten, doch das schmerzte mich nicht, ich akzeptierte es als Spielregel. Die Spielregel ist wie das Naturgesetz, es wäre dumm, sich darüber zu beschweren, warum der Stein, den man nach oben wirft, nach unten fällt. Seine vorletzte Mail erörterte lang und breit, wie man erreichen könnte, dass in der Reihenfolge der natürlichen Zahlen nach der Zwei die Vier kommt, das sei jetzt sein größtes Problem. Er bemühe sich, in der Fachliteratur nachzusehen, obwohl er sich dem möglicherweise eher von der Physik her nähern müsste und nicht von der Mathematik, da, jetzt vereinfache er für mich das Problem, da nicht auf jede Zwei eine Vier folgen müsste, ihm wäre genug, wenn nach der zweiten Etage die vierte Etage käme. Vielleicht klettere er in der zweiten aus dem Fenster und wie Spiderman die Außenwand hoch, und auf diese Weise hinein in die vierte, gut möglich, dass das eine Lösung wäre.
    Selbst jetzt beginnt bei diesen Sätzen mein Herz zu pochen, als wäre ich verliebt oder stünde auf einem Popkonzert zu nah an den Verstärkern.
    Seine letzte Mail klang so: In der dritten wohnt ein Schauspieler, er ist im Hamlet der Totengräber.
Frühling-Leben
    Die Frau hat eine winzige, schwarze Warze im Gesicht, ihre Haut ist von hellem, zu starkem Flaum bedeckt, ihre Stimme ist heiser, interessant (oder rau?), ungewohnt, ihr Haar ist dunkel, er würde es nicht braun nennen, er würde es nicht rot nennen. Ich habe auf Sie gewartet, sagt sie. Ich setze mich. Am Nachbartisch sitzen eine Frau und ein Mann, der Mann ist mein Sohn, die Frau trägt einen mühlsteingroßen Hut, schlürft verdünnten Zitronensirup durch einen Strohhalm. Ich weiß, wer diese Frau ist, ich kenne die wollüstige Wölfin, die Frau lacht, seit sie fünfzehn ist, weiß ich von jedem ihrer Kerle und jeder ihrer Abtreibungen, und sie weiß von meinen. Sie hat meinen jüngeren Bruder flachgelegt; ihr Hauptvergnügen ist es zuzuschauen, wie sich die aufgegeilten Typen in ihren langen Unterhosen verheddern.
    Mein Sohn und die Frau unterhalten sich heftig, horch mal, sage ich zu der Frau, ich beuge mich weiter vor, um besser hören zu können, die Frau missversteht es, vertraulich lachend sagt sie, abgefahrene Sachen denken sich die Tussis aus, sie haben ein rundes Loch vorne am BH, dort ziehen sie den Knopf durch, damit es so aussieht, als hätten sie unter dem Pullover nichts an. Pfui. Wenn ich einmal einen Hängebusen bekomme, ziehe ich einen anständigen BH an und fertig, sie redet laut, einige drehen sich nach ihr um. Mein Sohn scheint zu sagen, wir wissen es, auch wenn man das Gegenteil davon zum Gesetz erhoben hat. Was sagt er, frage ich flüsternd die Frau. Dass es auch zum Gesetz erhoben wird, wenn wir das Gegenteil gewusst haben. Nicht umgekehrt?, frage ich. Wie umgekehrt, verstehe ich nicht.
    Die Frau hat keine Schminke im Gesicht, ihr Haar ist kurz geschnitten, ihr Nacken ist mit einem Raster aus blondem Flaum bedeckt, stark, ihr Gesicht besteht aus scharfen, spitzen Dreiecken, die Einkerbungen um ihren Mund zeigen streng nach unten, plötzlich beugt sie sich über meine Hand, küsst meine Finger, die Handwurzel, tastet mit der Zunge nach den Knochen, den Fingerzwischenräumen, Schmelze in einer Hand, gehen wir, sagt sie. Wir stehen auf, mein Sohn erkennt mich nicht, es fällt ihm nicht wie Schuppen von den Augen, wenn er überhaupt welche auf den Augen hatte, er sagt gerade zu der Trinkhalmfrau, dass er es nicht mehr in das lebendige Gewebe der Welt zurückbindet.
Winter-Leben
    Die Hände des Landsers sind rot vor Kälte, was scheint so rot in der Ebene, ruft er.

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