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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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Er ist betrunken, mein Sohn streicht sich an. Auf der Straßenkreuzung traben Pferde, mein Sohn sieht, dass nicht ihm die Aufmerksamkeit geschenkt wird, ich will unbedingt gefallen, sage, aber warum kratzen wir am Grind der vernarbten Wunde? Mit stolzer Freude entdecke ich den dumpfen Glanz auf der gestriegelten Brust der Pferde, sie biegen in die Seitenstraße gleich neben dem Espresso ein. Gegenüber ist eine polnische Zigeunerin, sie verkauft Blumen, eine Nebendarstellerin. Am frühen Morgen fällt es schwer, Feinheiten zu unterscheiden. Die Handschuhfinger der Zigeunerin sind abgeschnitten. Mein Sohn trippelt näher heran, ich weiß, wer diese Frau ist, eine Polin, eine Nebendarstellerin! Ich kenne die wollüstige Wölfin. Halt den Mund, ich drehe mich zu meinem Sohn hin, er erschrickt, mein Vater, ich mein’s doch nicht so, ich bin alt und firm, einfältig und von demütiger Zeit. Ich mache einen Schritt zurück, spüre den Geruch meines Sohnes, da hast du, ich zerre Metallgeld aus meiner Tasche hervor, sich zu bewegen ist schlimm, es fällt mir schwer, die Finger meiner Wollhandschuhe sind ölfleckig, ich weiß, dass ich nach Diesel rieche. Mein Sohn fällt kreischend über mich her, was bildet ihr euch ein, wer ihr seid, was bildet ihr euch ein, ihr Scheißkerle, Hurensohn einer Eselin!, räudiger, nichtswürdiger Saumensch, was! Ich stoße meinen Sohn von mir, den Mantel zu berühren ist ekelerregend. Bei der Blumenverkäuferin tauchen die Reiter auf. Im Wind treiben Seufzern gleiche Hurra!’s zu uns. Die Reiter fegen mit gellendem Geheul über, brausen über uns hinweg wie ein Gewitter. Der erste Reiter rammt meinem Sohn seinen Säbel in den Hals. Das Bein meines Sohnes zuckt, ein schäumendes, korallenfarbenes Bächlein entspringt seinem Hals, sein Mund ist zerrissen wie die Lefzen der Pferde. Ich kann den Blick nicht heben, ich schaue mir die Muster im Asphalt an, auf den benutzten Straßenbahnfahrkarten sind zickzackförmige Schuhabdrücke. Ich möchte Sonette schreiben, sagt Kornél Esti zum Abschluss, Sonette. Vierzehn, mein Alter, vierzehn! Diese »vierzehn« wäre unser Leben?, fragt er noch vorsichtig.
Widerstand-Leben
    Kornél Esti zuckte nur leicht die Schultern, kaum, als zuckte Sándor Rózsa mit der Augenbraue.

Der Dieb des Kornél Esti
    (Abenteuerfilm)
    I ch raste – erzählte Kornél Esti – an einem heißen Sommertag in der elektrischen Ostbahn (vulgo: Straßenbahn Nummer zwei) heimwärts.
    Der junge Mann mit der Geldbörse in der Hand war eben dabei, aus der Straßenbahn zu steigen. Er ist mir nur deshalb aufgefallen, weil er die Börse mit zwei Fingern hielt, geziert hielt er sie in Kopfhöhe, als würde er schwimmen und nicht wollen, dass sie nass wird. Neben mir sagte dann eine junge Frau leise: Ein Dieb – und sie zeigte auf den Mann. Irgendwie war das unglaubwürdig, im Verhalten des Mannes sah ich nichts Verdächtiges, auch die Börse war nicht verdächtig, sondern interessant oder höchstens eigenartig. Das heißt, dass jemand ein Dieb sein könnte und etwas wegnimmt, was nicht ihm gehört, ist nicht zu glauben. Sobald wir jemanden aus der Nähe betrachten, können wir uns nicht vorstellen, dass er ein Dieb ist. Der Dieb ist etwas Abstraktes. Das Opfer sah aus wie eine Studentin älteren Semesters, und sie trug ein Kind auf dem Rücken. Sie hatte Ähnlichkeiten mit Mari Csomós, nur war sie nicht so schön (die Mari Csomós war in ihr nicht vorhanden).
    Ein Dieb, wiederholte sie. Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen, es war nicht in Ordnung, dass im Land Diebe herumliefen und ich hier einfach mit der Straßenbahn herumkutschte. Doch das muss man nicht groß übertragen verstehen, es war eine konkrete Straßenbahn, ein konkreter Dieb, ein konkretes Ich.
    Wer?, rief ich, und damit versetzte ich mich in Aktion. (Wie man sieht, bestehen meine Aktionen aus Wörtern.) Die Frau schnappte nur mehr nach Luft, und mit dem Zeigefinger verfolgte sie ihre Geldbörse. Da wollte die Straßenbahntür gerade zugehen, auf diese Bewegung hin rührte ich mich, setzte meinen Fuß in die Tür, sprang hinaus, die Frau hinter mir her.
    Der Mann blickte zurück; sein Gesicht war ruhig, als würde er nicht losrennen wollen. Aber er schien seinen Schritt zu beschleunigen. Dieb, rief ich da, stehenbleiben! Welch ein Wunder: der Mann blieb nicht stehen. Ich ging ihm nach, er war etwa zehn Meter von mir entfernt, ich lief nicht, ich dachte, dass man ihn nicht erschrecken sollte. Daher wiederholte ich

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