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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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hinaus. Man konnte mich nicht sehen. Viki wartete mit den Verwandten zwei Wagen weiter. Als ich durch die zwei leeren Wagen hindurch zu ihnen kam, stand sie schon mit ihrer schlanken, holden Gestalt, dem verblichenen Leinenkleid, blond wie der Sommer am Fenster im Gang und beugte sich hinaus. Der Zug fuhr wieder an. Von vorn kam der Schaffner – ein dünner, fröhlicher junger Mann in schwarzer Uniform – und verlangte die Fahrkarten.
    Dann gab es einen Augenblick: Im Weggehen blieb der Schaffner stehen und blickte zurück: Dieser Wagen war gepolstert. Ich lehnte mich gegen die offene Abteiltür, auf meinem Nacken spürte ich den Blick des Schaffners, und in den hintersten Schichten meines Bewusstseins ermahnte mich eine kraftlose Ermahnung: Vielleicht ist es mir nicht erlaubt, hierher rüberzukommen. Doch ich konnte dem Ganzen keine Beachtung schenken, ich betrachtete das von dem braungestreiften, verschlissenen Samtsitz eingefasste Mädchen, ohne ein Wort. Viki wusste noch nicht, dass ich da war. Wäre mein Sohn an meiner Stelle gewesen, würde er noch leben. Doch dann hätte er das Problem mit seiner Mutter wie der schuldig-unschuldige Ödipus. Mal bin ich Vater, mal Sohn, ich hätte nicht gedacht, dass das mein Leben würde.
Hübsches-Halbblut-Leben
    Eines Sommerendes kam Esti aus Italien nach Hause, im Kopf die summende Melodie der Kilometer, im Herzen die Erinnerung an sonnenbeschienene Märkte, lärmende Straßenkinder, Tizians. Er erzählte: Wir flogen vielleicht seit einer halben Stunde. Die Maschine erreichte die Flughöhe von siebentausend Metern, und die hübsche Halbblut-Stewardess demonstrierte, wie man die in der Rückenlehne des Sitzes befindliche gelbe Schwimmweste anlegte. Sie kämpfte lange mit ihr, die Weste wollte nicht über ihren fülligen Oberkörper. Das Mikrofon krachte heftig, so dass vom Begleittext nur der Anfang zu verstehen war, dem zufolge das Abkommen über den internationalen Luftverkehr bei jedem Flug die Flugroute über dem Meer vorschrieb, und dass im Falle eines Absturzes … Wir werden weich fallen, ergänzte ich für mich. Die Schwimmweste mit dem komplizierten Schnürwerk musste man allem Anschein nach während des Fallens anziehen, dann aufblasen, wobei man diszipliniert zur Tür der Maschine kroch. Wie genau, verstanden wir nicht, doch ohnehin wusste niemand, ob ihm die Schwimmweste vor ihm zustand oder die, die sich in der Rückenlehne des eigenen Sitzes befand. Ich sah den vor mir sitzenden massigen, braunen Südamerikaner und beschloss, mich nicht mit ihm um die Weste zu streiten, sollte er sie haben.
    Dann, nach einer halben Stunde Flug – wir flogen vorschriftsmäßig über dem Meer –, lockerte sich am Flügel eine Platte, und schon bald gab es einen laut knallenden Schlag. Ein Herr machte die Stewardess darauf aufmerksam, doch die teilte beschwichtigend mit, alles sei in bester Ordnung. Ihr Busen ging wie ein Blasebalg auf und ab. Das nennen Sie in Ordnung? Und in der Tat, die Platte löste sich, fiel herab. Es stellte sich heraus, dass wir bezüglich der Schwimmwesten doch alles verstanden hatten. Neben uns begann ein Mann zu beten, er schwitzte und betete. Ich saß neben meinem Sohn. Ich hatte ihn auf den Platz neben mir upgegradet. Willst du mir etwas sagen, wollte ich nicht zu ihm sagen. Woran denkst du, fragte ich ihn schließlich, als wären wir ein Liebespaar. Er antwortete mir, doch nichts, was notierenswert gewesen wäre. Da ging der Flug in den freien Fall über. Wir sind im freien Fall, sagte mein Sohn. Der Sitznachbar schluchzte nur noch. Ewiges Leben, sprach ich vor mich hin. Bewahren Sie die Ruhe, sagte das hübsche Halbblut. Letztlich bewahrten wir sie, zu zweit, allein, bis zum letzten Augenblick namens allerletzter.
    Verschwunden ist der Kuss, so ist das Leben. ’tschuldigung, Esti grinste, wie es seine gute Gewohnheit war, am Ende musst du auch noch erfahren, wie das Leben ist. Verzeih, das soll nicht wieder vorkommen.
Das Totengräber- oder Herbst-Leben
    Mein Sohn wollte nicht mit mir sprechen. Ich bin gern mit dir zusammen, Alter, ich esse gern mit dir zu Abend, vorausgesetzt, du zahlst die Zeche, doch das sage ich nur zum Spaß, denn du zahlst immer die Zeche, du zahlst gern die Zeche, ohne dadurch davonkommen zu wollen, du weißt, durchs Zechezahlen kommt man nicht davon, obwohl ich befürchte, du bist nicht von selbst, sondern durch deine Lektüre darauf gekommen, und durch populäre Filme, reiche, rücksichtslose Eltern versus einsamer,

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