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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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schamlosen Unschuld, dass seine Eltern beinahe das obligatorische Jammern und Hinausschieben vergessen hätten, beinahe, denn dann besannen sie sich und widersetzten sich pflichtgemäß, indem sie es jedoch faul vermieden (beziehungsweise unverständlicherweise, also unsinnigerweise), die Gründe zu benennen, immerhin sanken sie nicht so weit herab, auf jenen öden Salzboden, wo als Gegenleistung, sagen wir, die guten Noten in ihrer Wenn-dann-Jämmerlichkeit herumliegen, kurzum, von da an dachte Estis Vater mit starken und erhabenen Gefühlen an das »Vater kauft seinem Sohn ein bedeutendes Geschenk«-Projekt. Geschenk ist nicht das richtige Wort, weil nicht der Gegenstand wichtig ist, sondern die Geste. Obwohl das Fahrrad eine glückliche Wahl ist, man gibt jemandem, nicht wahr, Starthilfe. So etwas würde nicht oft in ihrem Leben vorkommen, ohnehin wäre er nicht geneigt, Hals über Kopf so einen frevelhaft teuren Gegenstand zu kaufen, es wäre auch nicht übertrieben, es (den Frevel) wirklich Frevel zu nennen, denn könne ihm jemand erklären, wozu man in der Stadt, auf flachem Gelände siebenundzwanzig (!) Gänge gebraucht. Zum Beispiel. Er meine ja nicht, es solle keine Entwicklung geben, obwohl sein R-26er in jeder Hinsicht auch heute noch ausreichte, es würde mit seinen drei Gängen der Konkurrenz Paroli bieten, drei Gänge, nicht zu viel, nicht zu wenig, gerade genug, diese neumodischen Fahrräder sind keine Produkte der organischen technischen Entwicklung, sondern der flatterhaften Mode, Übertreibungen, Firlefanz, Zufälligkeiten, ist eh schon egal, es geht sowieso nicht mehr um das Fahrrad, das ist nur der ärmliche Ausdruck (könnte ich das nur von mir sagen!, sich für fünfzig Riesen ärmlich ausdrücken!) einer symbolischen väterlichen Geste, an die nicht nur er, sondern auch sein Sohn sich erinnern wird.
    Estis Vater beging nicht selten den (klassischen) Fehler, seinen Sohn nicht bloß als gleichberechtigt – er war ein guter Vater, jedenfalls bemühte er sich –, sondern auch als erwachsen zu betrachten. Und Esti war damals, zehnjährig, zwar in allem ein zehnjähriger Junge, der mit solch unerwarteter Heftigkeit seinen Vater umarmen und dessen Hals küssen konnte, dass er (Vater und Hals) rot wurden, doch er trug zu dem Irrtum bei, er war voller erwachsener Gesten: Er grüßte mit »Guten Tag« und nicht mit »Küss die Hand«, was ein ungarisches Kind nicht macht; auch sein Denken, das nicht nur nach konsequenten, sondern nach fast schon dogmatisch zu nennenden Prinzipien funktionierte, untermauerte diesen Irrtum, nicht minder sein Streitvermögen, mit dem er die unmöglichen Konsequenzen seines konsequenten Beharrens auf diesen Prinzipien verteidigte; seine allgemeine, nicht selten wählerische Prätentiosität, die von der Beachtung der Farbharmonie der Kleidung bis zur sorgsamen Auswahl der Fernsehsendungen reichte. (Sein Vater wusste nicht einmal, was er gerade trug, geschweige denn, was es für eine Farbe hatte und dass die Farben im Verhältnis zueinander stehen könnten. Und Esti hätte es nicht passieren können, dass er, tägliche väterliche Praxis, den Fernseher einschaltete und erst danach das Programm studierte, Esti sah außer Mezzo und Spektrum sowieso kaum etwas, Filme nie, und wenn er seinen Vater erwischte, wie der einen Western, Columbo, Petrocelli schaute, sagte er derart verachtend nichts, wie das eigentlich ausschließlich die, keiner weiß, warum – und wir werden es auch nie erfahren –, ewig beleidigten Väter können.)
    Auf diesem Gebiet gab es nur einen Schönheitsfehler, freilich, einen dunklen, muttermalgroßen, warzenartigen mit Haaren: ein Jahr Dragon-Ball-Begeisterung. (Estis Vater sagte Boy, denn wenn überhaupt, hat nur das einen Sinn, Dragon Boy. Das denke ich auch.) Esti richtete sein Leben nach diesen japanischen Zeichentrickfilmen aus, er sah jede Folge, nahm sie auch auf Video auf und schaute sie sich zu den unvermutetsten Zeiten (früh, vor der Schule, während des Mittagessens am Sonntag, zur Liveübertragung eines Fußballspiels) voller Eifer wieder an. Estis Vater hatte das Gefühl, als wäre er umzingelt, als wäre er von wachsendem Idiotismus umgeben, im Fernsehen wurde nur noch diese Albernheit ausgestrahlt, zumal Esti die Figuren des Films nachzeichnete, ansehnlich, aber unterwürfig, so dass ihn quasi überall ein Dragon Boy anspringen konnte, in der Küche von der Serviette, im Badezimmer vom Toilettenpapier (kann man denn in diesem Haus nicht

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