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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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könnte ich sagen, fast hätte Estis Vater diese Ergriffenheit der Gefühle abgebremst, doch nur Esti bremste, vor ihnen, mit einem bis zur Überheblichkeit bravourösen Schlenker. Nun mal sachte, was wird mit den Reifen, hätte Estis Vater wohl gebrummt, doch als Esti bremste, sich durch die schnelle Bewegung schief versteifend wie bei Special Effect oder einer Bildstörung, da entstand jenes Licht.
    Die kurzen, grünen Farbeinkerbungen auf dem ansonsten silbernen Fahrrad zitterten, als hätte sie ein echter Maler – chinesischer?, japanischer? – hingehaucht, so grazil und kunstvoll wirkten sie, alle drei brachten kein Wort heraus, sahen einander an in diesem silbernen Funkeln, das inzwischen weiß und milchig geworden war, kein Nebel, denn es war scharfer Glanz und dumpfe Trübheit in einem – es wäre das Geringste zu sagen: Alle freuten sich: Sie hatten etwas ersonnen, und das hatte sich verwirklicht, und wenn sie der Stille glauben konnten (die unter ihnen tobte), dann hatte sich sogar mehr verwirklicht, als sie ersonnen hatten. Estis Vater rührte sich zuerst, er legte seine Hand auf den Lenker, fuhr über die Lampe wie über einen Schädel. Na so was, ein akzeptables Stück, sagte er, seine ungewollt parodistische Art übertreibend, und fügte auf derselben Schiene fortfahrend hinzu: Was für vier Pferde! Das ist meines Erinnerns ein Mikszáth-Satz, Estis Vater spürte in sich die schlichte Erhabenheit des Westerns. Esti hob das Vorderrad an, als hätte er von dem Western-Feeling gewusst, das Stahlross – das ist es!, Stahlross – bäumte sich auf, in dem Moment verschmolz sein Reiter mit ihm, Esti schien in eine andere Welt hinüberzutreten, er drehte sich (sie beide) auf dem Hinterrad zur Straße hin, wartete und sprengte mit einem »Ich komme dann!«-Jauchzer in die Unendlichkeit der kurzen Nebenstraße.
    Estis Vaters dachte selbst noch auf dem Totenbett daran, an diese Unendlichkeit. Was ihn übrigens überraschte. Fügen wir aber um der Wahrheit willen hinzu, dass er nicht nur daran dachte, er dachte an vieles, das heißt, vergeblich hatte er seine Beziehung zu diesem Ganzen geregelt, der Tod schmuggelte seine siegreichen Truppen gleichsam durch die Hintertür herein. Egal. Er betrachtete diese grinsende, stürmische (Nebenstraßen-)Unendlichkeit als Glanzpunkt seiner Vaterschaft. Mit dem Glanzpunkt war nahezu unmittelbar der Tiefpunkt verbunden, mit dem Fahrrad die Fahrradgeschichte.
    Wenn der Pedell Kovács hieß – der versoffene Kovács –, dann sagte der junge Mann oder reife Junge zu dem vor der Schule mit seinem Fahrrad angebenden Kornél Esti: Du, meinst du, der Kokó ist zu Hause? Wenn Czigler, dann Cigi. Esti zuckte die Schultern, versunken hielt er mit dem Fahrrad das Gleichgewicht, fuhr ein Stück vorwärts, Zentimeter, das nahm seine ganze Konzentration in Anspruch. Betrüger haben instinktiv ein gutes Gefühl für Psychologie, sie sind wahre Seelentaucher; als hätten sie das gelernt. Kokós Kumpan, so sprach Esti später über ihn. Wie schön sein neues Bike sei, sagte der Kerl. Esti stieg von der Maschine, sie spazierten zurück zum Kindergarten. Vielleicht trugen auch die Kinder zur Verringerung der Vorsicht bei, ihr argloses Getrippel und Gezwitscher. Schwer zu sagen, wie Vertrauen geboren wird. Zum Beispiel das gestreifte Trikot des Jungen, Esti hatte ein Trikot noch nie mit solcher Aufmerksamkeit, ja, mit solchem erregten Respekt betrachtet. Manchmal lugte der Bauch des Jungen hervor. Doch das mit der Geburt des Vertrauens ist ungenau gewesen, es war umgekehrt, zu der Zeit vertraute Esti allem, dem Gras, den Bäumen, den Felsen – salopp gesagt: sogar seinem Vater.
    Ob er ausnahmsweise eine Runde drehen könnte. Esti stutzte und schämte sich auch sofort. Der Junge sprach schnell weiter, er verstehe das, verstehe das total, man gibt einem Fremden nicht gern seine nagelneuen Sachen, und ob Esti sich aus zwei Bewegungen, nicht aus drei, aus zwei total drehen könnte. Wie total. Na, einmal rum. Nein. Dann zeige er es ihm gern. Esti hielt den Lenker des Fahrrads in der Mitte, als ob dieser der Nacken von jemandem wäre. Und noch ein »als ob«: Während er lief, kippte er das Fahrrad so zärtlich zu dem anderen hin, als ob sie sich schon sehr lange kennen würden. Dieser Schuft, gemeine Dieb setzte sich vorsichtig, mit Respekt auf die Maschine, toll, sagte er, zunächst hole ich Schwung, so, und er holte Schwung, fuhr mit voller Geschwindigkeit zur Hauptstraße, bremste

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