Esti (German Edition)
plötzlich, riss einmal am Lenker, als wären es Zügel, und drehte sich tatsächlich um hundertachtzig Grad, schön langsam trottete er zu dem Besitzer zurück. Er hätte ja schon beim ersten Mal wegfahren können, sagte Esti später, warum hat er es nicht getan? Wozu brauchte er noch mehr Vertrauen? Noch einmal, in Ordnung? Nein, schrie Esti leise. Der Junge beschleunigte erneut, nun aber – das war die Überraschung! – bremste er nicht, sondern bog mit zischender Geschwindigkeit auf den Boulevard hinaus, Esti lief ihm zunächst verunsichert hinterher, dann immer schneller, keuchend, nein, nein, wiederholte er, und wie er zur Ecke kam, verschwand das Fahrrad gerade am Ende der Straße. Gab es auch hier eine Unendlichkeit? Mit verdutztem Staunen sah er, wie sein Fahrrad für immer verschwand.
Eine höherentwickelte Variante dieses Staunens, dieses, sozusagen, dummen Gesichtsausdrucks haute kurze Zeit später Estis Vater um.
Zuerst gingen sie zur Schule zurück, der Kovács schnarchte unbrauchbar in der Küche der Dienstwohnung auf den Tisch gesunken, Kokó zuckte die Schultern, er kenne niemanden, ohne Hoffnung fuhren sie mit dem Auto in der Gegend herum, beide schwiegen, Esti tiefer, sein Vater hatte das Gefühl, dass er tat, was er tun musste, und bemühte sich, nicht an die zum Fenster hinausgeworfenen fünfzigtausend zu denken. Ein wenig rührte ihn seine neue Aktivität, dementsprechend – ein wenig – vergaß er auch Esti. Sie gingen sogar zur Polizei, nicht weil er (sie) sich etwas davon erhoffte (erhofften), sondern weil das so seine Ordnung hat, einen Diebstahl zeigen wir bei den Hütern der Ordnung an, wir setzen sie davon in Kenntnis, dass die ihnen anvertraute Ordnung verletzt worden ist. Jetzt zeige ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden an, und stolz sah er den apathisch nickenden Esti an. Wie sich herausstellte, war auch, jemanden anzuzeigen, nicht einfach. Auch das hatte seine Ordnung. Der junge Polizist prüfte streng und gutmütig den ersten Versuch. So muss der »Nyugat«-Redakteur Osvát ein Manuskript begutachtet haben.
So geht das nicht, Doktor. Estis Vater hatte ausnahmsweise mit Doktor unterschrieben, wahrscheinlich glaubte er wirklich den Unsinn, dass die Behörde dann mit größerer Anstrengung ermitteln würde. Bitte zuallererst oben in Druckbuchstaben hinschreiben: ANZEIGE, um es sofort einordnen zu können, so gehört sich das – ich sage es, die reinste »Nyugat«-Linie! –, und bitte nur Fakten schreiben, es spielt keine Rolle, was Sie oder Ihr Sohn dabei gedacht haben, was für ein Schock das war und so weiter. Was im Herzen ist, mein Herr, sagte der junge Mann höflich, ist kein polizeilicher Posten. Für Traurigkeit ist die Polizei nicht zuständig. Kornél Esti merkte sich diese beiden Sätze.
Es überraschte jeden aufrichtig, die Polizei, den Täter, Estis Familie, als drei Jahre später der Täter, die Nadel im Heuhaufen, ausfindig gemacht wurde. Er war Mitglied einer Drogenbande, der Verkauf der geklauten Dinge bildete die materielle Basis. Die Polizei, ein Ermittler!, rief an, ob Esti vor Gericht aussagen würde, es sei keine Pflicht, aber es wäre gut. Oje, schrie Estis Mutter, die beim Wort Drogen auf der Stelle immer in Panik verfiel, nein! Ja, sagte Esti. Sein Vater begleitete ihn. Das Warten im Gericht war wie im Krankenhaus. Oder beim Rat (Gemeindeverwaltung). Esti bemühte sich vergeblich, auf den ersten Blick Zeugen und Beschuldigte, Schuldige und Unschuldige voneinander zu unterscheiden.
Die Fragen des Richters bei der Verhandlung hämmerten monoton. Als Esti an die Reihe kam, lebte der Richter etwas auf, als wolle er Esti schützen, ganz ruhig, mein Junge, erzähle, was passiert ist. Der etwa zwanzigjährige, dünne, sympathische junge Mann, begann Esti, als würde er irgendwo ablesen. Warum sagst du sympathisch? Dieses Gefühl hatte ich. Aber er hat dein Fahrrad gestohlen. Esti antwortete nach kurzer Pause: Ich weiß, dass das Gericht für Gefühle nicht zuständig ist. Der Richter wurde der Sache überdrüssig, fahren wir fort, erkennst du im Saal den Täter? Den sympathischen Täter? Der in der ersten Reihe saß, um seine Hände Handschellen. Weder Esti noch sein Vater hatten schon einmal live Handschellen gesehen. Sie hatten etwas von einem Haushaltsgerät, so ein älteres Ding, ein Apparat, von dem man nicht weiß, wozu er gut ist, den aber keiner wegzuwerfen wagt. Eigentlich hätten sie verrostet sein müssen. Estis Blick wanderte diszipliniert
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