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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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ich über mich, als Baron Münchhausen ziehen wir uns an unserem eigenen Schopf heraus.
    Das Möbiusband der Moderne.
    Ich lasse dieses Who’s who, ich erzähle die Geschichte, als könnte man Geschichten erzählen. Doch ist nicht auch das die Lehre Pierres, das Unmögliche als Unmögliches so möglich wie möglich zur Kenntnis zu nehmen? Spornt uns nicht sein Geist an, »die Odyssee so zu lesen, als wäre sie nach der Aeneis gedichtet worden, und das Buch Le jardin du Centaure von Madame Henri Bacheliers so, als sei es von Madame Henri Bacheliers«?
    Ich glaube, die Richtung meiner Absicht ist klar. Ist es nicht der realistischste Realismus, nicht die wirklichste Wirklichkeit, die geschehenen Geschichten als »wichtige, erhabene, genaue, liebliche und gut erfundene Geschichten« zu erzählen?
    Zurückhaltend formuliert, bedeutete es etwas anderes, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Nîmes und im Budapest der siebziger Jahre Pierre Menard zu sein. Meiner fest zu nennenden Gewohnheit zufolge denke ich dabei weniger an die abweichenden Welten, Gesellschaftsformen, vulgo nicht an die Diktatur, ich denke vielmehr an die Sprache oder, weniger als das: an die sprachliche Umgebung.
    Die Vergleiche, die zwischen Cervantes’ und Menards Don Quijote gezogen werden können, sind nahezu unverändert auf das Verhältnis zwischen Borges und meinem Menard übertragbar. Es ist eine Offenbarung, hält man den Namen Pierre Menard neben den Namen Pierre Menard. Was in Nîmes, verfasst von dem »Laienverstand«, nichts weiter als ein rhetorisches Lob auf die Geschichte ist, ist im bewusstlosen oder eher ohnmächtigen Budapest der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein überwältigender Gedanke. Hier, in einem Meer von Kovács, Szabós, János und Ferenc (und Kornél Estis! :-)), definiert der Name Pierre Menard die Geschichte mitnichten als eine Erforschung der Wirklichkeit, sondern als deren Ursprung. Die historische Wahrheit ist für ihn nicht das Geschehene; sie ist unser Urteil über das Geschehene.
    Das Überwältigende daran ist gerade, dass es so sehr auf der Hand liegt. Es entspricht der Zeit und widerspricht ihr zugleich. Die persönliche Verantwortung ist unvermeidlich: diese Auffassung kann genauso den völligen Kompromiss, Selbstbetrug und das Sichabfinden bedeuten wie die frechste, beinahe anmaßende Ignorierung der erstickenden Niedertracht, die man in jeder Sekunde des Tages würgend zur Kenntnis nehmen muss.
    Ich lernte Pierre Menard an der Universität kennen, auf dem Gang im ersten Stock des Gebäudes der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Eötvös-Loránd-Universität am Museumsring, vor mehr als dreißig Jahren. (In Romanen kommt so etwas vor, die eine Figur sieht der anderen in die Augen, in den See der tief glänzenden, blauen Augen, und der Narrator, dieser Unseligste der Romane, sagt, dann vergingen dreißig Jahre. Früher verging in den Romanen die Zeit von selbst, man konnte darauf vertrauen, dass der Vater älter war als der Sohn, und musste nicht überrascht sein, dass in diesem Fall der Sohn jünger war als sein Vater, auch wenn das allein keinen Frieden brachte; jetzt hingegen braucht es für das Vergehen auch einen Satz, der Satz lässt die Zeit vergehen, wenn er nicht wäre, nähmen wir das Vergehen nicht nur nicht wahr, wir würden es auch nicht glauben, wenn sich das Vergehen (der Zeit, nicht des Satzes) doch irgendwie herausstellen sollte. Die zeitlose ewige Gegenwart – höchstens das ist unsere Chance. Darüber schreibt Cervantes im neunten Kapitel des ersten Teils, wobei er das seiner Zeit geläufige Spanisch unbefangen schreibt: » … die Wahrheit, deren Mutter die Geschichte ist, die Nebenbuhlerin der Zeit, das Archiv aller Taten, Zeugin des Verflossenen, Beispiel und Rat des Gegenwärtigen, Warnerin der Zukunft. «)
    Ich habe die obige Klammer nicht zufällig geöffnet (und geschlossen). Als ich Menard – damals – in der Tiefe des Gangs erblickte und das Licht wie auf Heiligenbildern schräg durchs Fenster hereinfiel, musste ich auf der Stelle an Don Quijote denken; nicht dass Menard so eine hagere, gotische Figur gewesen wäre, die wir gewöhnlich betrachten, als wäre sie eine Illustration aus jenem großen, spanischen Buch. Menard war raffinierter zusammengesetzt, er erinnerte gleichzeitig an den Herrn und an den Knecht. Doch die Natur war auch nicht dem berühmtem Vorhaben Daudets gefolgt, das wir außerordentlich interessant, wenn auch widersprüchlich und

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