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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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zwischen den zwei Bänden des Quijote als Geist der Erzählung, natürlich en miniature!, lieber fahre ich mit der Geschichte der Freundschaft fort.
    Diese Erzählsucht ist nicht der verschämte Beweis dafür, dass ich von der Intertextualität genug hätte – was für ein Unsinn, die beiden gegeneinander auszuspielen! Ich kann sagen, mich hat die Intertextualität nie sonderlich interessiert, weil das keine Frage des Interesses ist, Bücher sind immer unter Büchern, und wenn irgendein Buch weit vorausläuft und demnach einsamer ist als sonst üblich, wie das beim Quijote der Fall ist, dann erzeugt es von sich aus Intertextualität. Es gibt keine postmoderne Schlange, die sich »besser« in den eigenen Schwanz beißen würde als der Quijote .
    Ich habe mich vorhin ungenau ausgedrückt: Ich habe Menard auf jenem strapazierten Gang der Universität nicht kennengelernt, ich habe ihn mir nur ordentlich angesehen. Mich faszinierte seine komplizierte Donquijoteskerie. Noch in seiner Einfalt war er der Feinsinn schlechthin. Dieser Feinsinn hätte eigentlich eine Freundschaft mit mir nicht gestattet. Dann aber doch. In unserer Freundschaft gab es eine Zeit, in der mein Staunen darüber stärker war als die unbestreitbare Liebe, die ich vom ersten Augenblick an für ihn empfand.
    Er studierte Mathematik und Kunstgeschichte, und natürlich Portugiesisch, um portugiesisch zu sprechen, in der Sprache der Blumen. Woraufhin ich als, so glaubte ich, zärtliche Geste, in Wahrheit aber als plumpe Beleidigung Spanisch wählte. Ich hatte eine spanische Periode. Allabendlich nahm ich von Selbstvorwürfen geplagt die spanischen unregelmäßigen Verben durch, dann zog ich mich aus.
    Wir begegneten uns bei dem Seminar über die Kleinen Propheten; Menard, weil er für Philologie schwärmte, ich aber hatte den Anmeldebogen zufällig falsch angekreuzt. Doch es war auch egal, ich erwartete nichts Konkretes von der Universität, wollte mich nicht festlegen, meine Sache war die Welt, die Menschheit. Ich wollte meine Zeit nicht mit Sätzen verbringen, sondern mit dem Universum. Mit dem ich unzufrieden war, an dessen Schicksal jedoch, so hatte ich das Gefühl, sich bald etwas ändern würde – unausgesprochen, aber offensichtlich deshalb, weil sich mit meiner Ankunft eine neue Situation ergeben hatte. Kurzum, ich war jung. Die Weisheit des Dichters trifft es gut: Im Angesicht des andern baden, das ist Freundschaft.
    Die Diktatur (und das ist noch der glücklichere Fall) verdoppelt das Leben. Ich besaß eins, in dem ich ein zwanzigjähriger junger Mann mit großen Hoffnungen sein konnte, der gerade die Welt entdeckt, der »die Geheimnisse des Seins erforscht«, der im Angesicht seines Freundes badet und der sich durch all das stark und quasi ständig benommen fühlen kann. Ich wartete, dass das Leben kam, wartete, dass dieses faszinierende Etwas begann, und dann begann es auch, ohne dass der Beginn zu markieren gewesen wäre, es war kein Tor zu sehen, durch das hindurch man hätte treten müssen oder können. Doch passierte mir nicht, was so vielen passiert, dass man auf den Beginn von etwas wartet, in dem man schon längst drin ist. Oder umgekehrt wie bei Kafka: ewig vor dem ausschließlich für uns bestimmten geschlossenen Tor zu warten, »vor dem Gesetz«.
    Das verdanke ich Pierre Menard, meinem Freund. Auf der Stelle dachte ich an ihn, als wäre er mein Freund, obwohl ich ihn kaum kannte. An dieser Konstellation konnten auch die Jahre, die vergingen, nichts ändern. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich mich selbst liebgewann, die Welt liebgewann. An etwas Kleineres als die Welt konnte ich nicht denken. All das war Menard beziehungsweise der Don Quijote . Sein Don Quijote .
    Dabei hatte Menard eine Eigenschaft, die wie eine Wand zwischen ihm und seiner Donquijoteskerie stand. Diese Wand ist der größte Irrtum des Feinsinns, die Pingeligkeit. Von Fall zu Fall ist es schwer, das auseinanderzuhalten, und es ist auch nicht so, als wäre diese die Kehr- oder Schattenseite von jenem. Ich würde es noch nicht einmal Schwäche nennen. Selbst die Pingeligkeit kann man mögen (ich meine, die des anderen), den Aristokratismus, Mut zum Widerstand, die Wertezentriertheit, die Opportunismus nicht duldet.
    Menard war, wie der ungarische Intellektuellenslang es ausdrückt, nicht einmal die Scheiße Scheiße genug. Ich erinnere mich an seinen verächtlichen Blick, wenn ich unüberlegt etwas zu loben wagte. Oder als ich mich nicht geneigt zeigte, den

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