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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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einbändigen Horatius, nein, Plato, was weiß ich, gegen den vollständigeren dreibändigen einzutauschen. Oder wegen zwei neuer Novellen den Borges-Band. Jetzt erst sehe ich, dass das keine guten Beispiele sind, es sind gerade Beweise seines Feinsinns, ich hingegen habe mich im Netz meiner einstigen, feinen (!) Kränkungen verheddert.
    Auch seine Meinung über den Don Quijote nahm ich als Beweis der Pingeligkeit. Der Don Quijote ist – so Menard – vor allem ein reizendes Buch gewesen; jetzt ist er die Gelegenheit für einen patriotischen Toast, grammatikalische Überheblichkeit, ordinäre Luxusausgaben.
    Und das Lob? – fragte ich siegestrunken; ich sah im Lob keine Korruption, sondern, metaphorisch gesagt, einen Gottesbeweis.
    Das Lob ist: Unverständnis, und vielleicht von der schlimmsten Sorte – antwortete er kalt und sah mich peinlich lange an.
    Ich habe vom Doppelleben, von der Doppelgeschichte gesprochen. Denn all das, der »Kennenlernabend« unserer Jugend, spielte sich unter dem Firmament der Diktatur ab, »die Angst saß mit ihrem ungeheuren Arsch mitten in der Stadt«, Zitat Ende. Wenn ich ehrlich sein wollte – was keine natürliche Absicht des Menschen ist –, dann existiert in der Diktatur ausschließlich eine Geschichte, die der Diktatur. Und die ist, logisch, nicht erzählbar. Deshalb herrscht in der Diktatur eine so große Stille. Allein der verkommene Wind heult kalt. (Das ist ein schöner Gedanke!) In der Diktatur gibt es nur die Diktatur. Nichts, ausschließlich die Diktatur. Doch was ist mit uns, mit dem, den wir im Spiegel sehen können, was soll man mit diesem zweideutigen Nichts anfangen? In unserem Kampf gegen das Nichts (es war eher schlechtes Ringen als Heldentum egal welcher Art) konnten wir auf niemanden zählen, nur auf uns selbst. Auch aufeinander kaum. Wir wollten im Wahnsinn der Diktatur unsere Normalität herstellen und gleichzeitig die zerstörerische, alltägliche, dumpfe Normalität der Diktatur angreifen. Das waren die zwei Seiten desselben Mangels. (Selbstverständlich konnte man nicht normal normal bleiben, denn man musste sich ständig die Frage stellen, was ein normaler Mensch in einem normalen Land jetzt täte – und das ist selbst dann nicht normal, wenn wir dann taten, was als normal bezeichnet werden konnte; das Normale ist gerade dann normal, wenn man nicht darüber nachdenken muss.)
    Alle hatten wir unser Steckenpferd.
    Der eine gab sich dem Studium der Natur der Liebe hin, und die langjährige Forschung war gezwungen festzustellen, dass die Diktatur auch die Liebe frisst (wie die Motte, nicht wie der Tiger), dass die Liebe in der Diktatur nicht möglich ist, sie existiert nicht, nicht einmal die Liebe, auch wenn wir glauben, sie existiert immer oder ist zumindest immer möglich. Aber nein. Dieser Freund von uns fand das Nichts, sein eigenes Nichts. So verbrachte er seine Zeit.
    Ein anderer von uns, ein Mathematiker, begann sich zu verkleiden. Farben zu tragen. Denn in der Diktatur existieren auch keine Farben, alles ist grau, selbst die rote Fahne der Arbeiterbewegung. Diese Diktatur, unsere (»unsere«), war ab den siebziger Jahren schon weich wie Scheiße, am liebsten machte sie nichts, ihre Drohung lag in ihrem Nichtstun. Eine muskulöse, »ordentliche« Diktatur hätte den jungen Mann sofort eingesperrt, der auf dem Weg ins Mathematische Institut in seinen engen, ziegelroten Jeans, seinem kanariengelben Mohairpullover mit V-Ausschnitt, die Hände in den Taschen und vor sich hin pfeifend den Moskau-Platz überquerte. Oder in einem giftgrünen Seidenhemd. Einem lila Poloshirt. Einer rotholzfarbenen Leinenhose. Einer hellblauen (wie die Augen Franco Neros) Weste, mit gepunkteten Socken. Die Diktatur hätte rational gehandelt, und es ist zu befürchten, dass die in sich zusammengesunkenen, müden Fahrgäste in der U-Bahn es mit einem leichten, ächzenden Seufzen (Aufatmen) quittiert hätten, dass dieser beunruhigende Kanarienvogel aus ihren Reihen verschwand. Ungarn lebte nach 1956 durch und durch in der Niederlage. Das heißt in der Einsamkeit. Die Einsamkeit aber ist die Brutstätte des Verrats.
    Ich sah in der Arbeit den Fluchtweg. Flucht ist kein gutes Wort, es ist zu weinerlich und romantisch. Außerdem war es nicht möglich zu fliehen. Wir wollten auf jeden Fall leben und nicht nur überleben, wollten Wege finden und nicht nur Auswege. Wir stellten uns vor, wir wären Don Quijote, denn der Wahnsinn schien die einzige normale Möglichkeit. Wie Unamuno

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