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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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von den hinteren Reihen nach vorn, als er den zu Erkennenden erblickte, heiterte sich sein Gesicht auf, er zeigte auf ihn, erkannte ihn, ich erkenne ihn, sagte er. Der Verbrecher hob leicht die Schultern, beinahe so, als würde er um Entschuldigung bitten, oder er deutete eher nur an, ’tschuldigung, so sieht es aus, ich habe es versucht, es hat nicht geklappt. Esti nickte, sein flüchtiges Lächeln unterstrich seinen Ernst. Sein Vater, der nicht unter den Zuhörern saß, sondern neben der Tür hinter einer der Säulen stand, sah überrascht die Einsamkeit und den Stolz in der Geste des Diebes, und dasselbe sah er auch an seinem Jungen. Er hatte das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, endgültig.
    Nachdem das Fahrrad seinem Blick entschwunden war, war Esti nach Hause gelaufen, sein auf das ungeduldige Klingeln ungeduldig vor ihm aufgetauchter Vater hatte sofort gesehen, dass es etwas Schlimmes gab. Keuchend berichtete Esti, was geschehen war, fast genauso wie Jahre später bei Gericht. Nicht das Fahrrad schmerzte, das sah sein Vater, sondern dass so etwas hatte geschehen können. Etwas, von dem er nicht glaubte, dass es geschehen könnte. Er sah Estis Gesicht den Schrecken darüber an, dass hier dann alles geschehen könne. Und da saß in Estis blau düsteren Augen schon, was nichts mehr je wieder ganz aus ihnen vertreiben würde, jenseits von Enttäuschung, Staunen und Schrecken, die graue und universale Gleichgültigkeit.

Zweites Kapitel
    in welchem Das vollkommene Leben des Kornél Esti oder
Pierre Menard, der Autor des ungarischen Don Quijote
    »Und dann vergehen dreißig Jahre.«
    (László Darvasi: Das vollkommene Leben des Fernando Asahar )
    I ch las Csaba Csudays packende philologische Überlegungen zur Geschichte des ungarischen »Don Quijote«, die eher als ruhige philologische Erörterung denn als aktualisierende Betriebsamkeit bezeichnet werden können – höchstens insofern sie anlässlich des Jubiläums etwas im Hinblick auf die ungarische Textwirklichkeit des Romans bewegen.
    Ich las sie mit Freude und Begeisterung oder, besser gesagt, um die Absichtslosigkeit zu verdeutlichen, sie erfüllten mich mit Freude und Begeisterung, ich blickte aus dem Fenster, und wie auf den Wink eines schlechten und vor allem geschmacklosen Regisseurs kam die Märzsonne heraus, diese selbst in ihrer Zartheit spektakuläre, eine starke Lichtflut durchströmte also die äußere Welt. (Die Märzsonne ist sanft, zart und zärtlich, liebkosend wie ein Kätzchen, vorteilhafter ist allein das wohl gepflaumet junge Gänslein – das heißt, was das Arschwischen angeht, wie wir das von dem darin versierten Rabelais wissen.)
    Das Interesse der Studie richtet sich in erster Linie darauf, »welcher Gesundheit sich« der Roman »erfreut«, den wir ungarisch lesen, und wie sich der gültige ungarische »Standard«-Text zum originalen spanischen und zum originalen ungarischen Quijote verhält.
    Es wäre logisch gewesen, doch nicht das Thema des Textes brachte mir meinen großen Freund, Pierre Menard, ins Gedächtnis, sondern die Freude und Begeisterung, die mich angesichts der philologischen Detailarbeit erfasste. Pierre Menards eigentlicher Name war Kornél Esti (und Kornél Estis Pierre Menard); so wie ich wegen meiner langen Künstlernase meistens Naso, manchmal Publius Ovidius genannt wurde. Siehe auch Mihály Dés: »XY, autor del Quijote «, Lateral, no. 62, Februar 2000, Barcelona. Durch die Freude kam mir mein Freund in den Sinn, genauer, durch die Freude zunächst jene alte Freude (seinerzeit hatten wir an der Universität gemeinsam ein Seminar besucht, ein ausgestiegener Priester hielt es über die sogenannten Kleinen Propheten des Alten Testaments, über Jona, Micha, Nahum, Habakuk usw., mit offenem Mund, berauscht hatten wir zugehört, wie man wochenlang über einen Satz reden konnte) und auf diese Weise er, Pierre. Der alte Pierre. Und daher das alte Ich. Dieses »alt« ist mir nur so herausgerutscht, in Wahrheit denke ich nicht, dass ich mich verändert habe. Meine Gelenke, meine Augen, der Gichtverdacht und die Bindehautentzündungs-Gewissheit, meine Leber, die Farbe meiner Haut, meine Bewegungen, all das ja, aber nicht ich. Sicher, jetzt müsste ich auf die Frage eingehen, was dieses Ich ( Ich , »Ich«) eigentlich ist, was die Persönlichkeit ist, ob es eine Seele gibt und ob sie unsterblich ist, was ich vielleicht aus Gründen des guten Geschmacks dennoch nicht tun sollte. Und natürlich denke ich über das Ich nach,

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