Esti (German Edition)
sagt: Unser Geist erfüllte sich mit den allerschönsten närrischen Vorstellungen, und wir glaubten, dass das Wahrheit sei, was doch nur Schönheit war. Im Nachhinein scheint es, wir hatten eher Don Quijote light , die Musicalversion vor Augen.
Menard war die große Ausnahme. Er fand, dass alles hinfällig ist – eine philosophische Lehre ist zunächst eine wahrscheinliche Beschreibung des Universums; die Jahre vergehen, da ist sie nur noch ein Kapitel, wenn nicht ein Paragraph oder ein Name der Geschichte der Philosophie –, in der Literatur macht sich diese Hinfälligkeit noch deutlicher bemerkbar. Das bezog er auch auf den Quijote , was wir uns nicht trauten. An diesen nihilistischen Feststellungen war nichts Neues (wie jeden Nihilismus nahmen wir ihn widerstreitend und jubelnd auf); einzigartig war jedoch der Entschluss, den Pierre aus ihnen ableitete. Er beschloss, der Vergeblichkeit, die aller Bemühungen des Menschen harrt, zuvorzukommen. Und an diesem Punkt gelang es Menard, zu vereinigen, was die Diktatur entzweit hatte, das heißt, er berücksichtigte sowohl die Diktatur als auch, gebrauchen wir dieses große Wort, das Sein. Historie und Ontologie usw. Das heißt, er verwirklichte die echte Don-Quijote’sche Haltung, reagierte zugleich auf das Alles und das Nichts.
Er legte Hand an ein äußerst kompliziertes und von vornherein aussichtsloses Unternehmen. Er wandte seine Skrupel und durchwachten Nächte daran, in einer fremden Sprache ein schon vorhandenes Buch zu wiederholen. Er erging sich in einer Vielzahl von Entwürfen, er korrigierte hartnäckig und zerriss Tausende handgeschriebener Seiten. – Ich erinnere mich noch an seine karierten Hefte, seine schwarzen Tilgungen, seine besonderen typographischen Zeichen und seine Insektenschrift. Gegen Abend verließ er gern das Haus und ging in der Umgebung von Budapest spazieren, vor allem auf dem Csillaghegy; gewöhnlich trug er ein Heft bei sich und entfachte ein lustiges Feuerchen.
Er ließ nicht zu, dass sie von jemandem durchgesehen wurden, und trug Sorge, dass sie ihn nicht überlebten. Umsonst habe ich versucht, sie zu rekonstruieren.
Oder war jenes Feuerchen doch nicht so lustig? Es mag zwar sein, dass die Verrücktheit der einzige Weg ist, bei gesundem Verstand zu bleiben, doch der Verrückte ist einsam. Es gibt keinen Don Quijote, der nicht mutterseelenallein bliebe. Das ist der Preis für die Freiheit.
Während Menard den Don Quijote tatsächlich schrieb / nicht schrieb, mit beispiellosem Eifer, geistig entflammt, auf dem höchstmöglichen fachlichen Niveau, diesem quasi sein Leben opfernd – was war da von außen zu sehen? Ohnmacht, eine Art Dürre, schöpferische Ödnis, dass er nicht jene kunstgeschichtlichen Bücher schrieb, wie er hochmütig sagte, und das stimmte, Lücken schließende Fachbücher, die sein Talent und auch er selbstsicher versprachen. Der wachsende Mangel, der Abstand zwischen Erwartung und Leistung, wurde immer schmerzlicher.
Ich, wie es heißt, stürzte mich ins Leben, das für mich identisch war mit der Arbeit. Über die ich mit Menard selten sprach, und ich musste zwar nicht denken, dass er sie geringschätzte, im Gegenteil, doch irgendwie erfuhr ich immer durch ihn, was anderen daran missfiel. Menards veröffentlichte sog. Vorstudien lösten ein reges Interesse aus, bestätigten das Talent ihres Autors, weckten Erwartungen – danach nichts. Dem Nichts, dem Nichtstun, der Lähmung, dem Verstummen, der Ohnmacht (die tausend Gründe haben kann) verlieh die Diktatur immer eine gewisse heroische, zweideutige Aura, die erreichte Leistung überzog sie mit dem klebrigen Schleim der wahnwitzigen Anklage, kollaboriert zu haben. (Dieser klebrige Schleim, auch das ist ein schöner Gedanke!)
Wir entfernten uns voneinander. Ich bemerkte, sah nicht mehr, dass er mit seinem riesigen unsichtbaren Unternehmen und seinem sichtbaren Scheitern, mit seiner wie Faulheit anmutenden Faulheit und seinem wie nichts anmutenden gigantischen Fleiß quasi das Unaustricksbare austrickste und so zum Hüter der Freiheit wurde.
Der Rahmen seines Lebens schien stabil, wenn nicht gar ruhig; er lebte das gehetzte Leben des Durchschnittsintellektuellen, auf drei halben Stellen neben seinem ständigen Arbeitsplatz schrieb er Gutachten für einen Verlag, beriet Versicherungsmathematiker und rannte mit seiner aufgeblähten Aktentasche in schlecht beleuchtete, ungelüftete Volkshochschulsäle, wo er über den Zusammenhang von Tafelbildmalerei,
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