Esti (German Edition)
angegangen sei. Und ob ich nicht etwas fragen wolle. Nein. Denn sie habe gesehen oder glaube zumindest gesehen zu haben, dass ich geguckt hätte. Ja. Dass ihr Gesicht, ihr Mund schließlich zehn Zentimeter von den Lenden des Tänzers entfernt gewesen sei, als der seinen Tanga ausgezogen und sich umgedreht habe. Ja. Und dass zehn Zentimeter schließlich zehn Zentimeter seien. Ja. Und dass ich mich nicht im mindesten aufzuregen brauchte, weil er eingepackt war. Wie eingepackt? Na, wie in einer Socke, irgendwie so, aber das hätte man von hinten nicht sehen können.
Ich zuckte die Schultern. Wenn ich will, das ist jetzt, zucke ich jetzt die Schultern, Csuday analysiert gerade den ersten Satz des Quijote beziehungsweise vergleicht ihn mit den Varianten von Vilmos Győry, Béla Szász und János Benyhe. Zu Recht merkt er an, dass die Übersetzung des ersten Satzes, En un lugar de la Mancha, de cuyo nombre no quiero acordarme und so weiter (der vielleicht bekannteste Satz des Werkes, den schon die spanischen Schulkinder auswendig herbeten; Menards Anfangssatz, En un lugar de la Mancha etc., kennt kein Schwein, nun ja, das Gefüge der Kultur verändert sich), dass also die Übersetzung dieses Satzes besondere Aufmerksamkeit verlange. Umso bedauerlicher sei, dass die ungarische Version nicht nur an einer Stelle hinkt. Rico mache in einer Fußnote darauf aufmerksam, dass das Wort lugar in der allerersten »Situierung« des Werkes und des Helden, in der am Satzanfang stehenden Charakterisierung im siebzehnten Jahrhundert eigentlich im Sinne von »Ortschaft« gebräuchlich war (im heutigen Spanisch bedeutet lugar eher Ort, Aufenthaltsort). Der Autor bezeichne, im Gegensatz zu allen drei ungarischen Textvarianten, die Ortschaft nicht als »Dorf« ( aldea ), obwohl er es tun könnte und später auch oft tut.
Auch bei dem Gebrauch von quiero (ich will) in dem Nebensatz de cuyo nombre no quiero acordarme sei der Fall ähnlich gelagert. Laut Rico sei es auch im Sinne von no voy, no llego a acordarme ahora verwendet worden, was nicht das willentliche Verdrängen von etwas, das absichtliche Vergessen ausdrückt, sondern die Vergesslichkeit des Sprechers. Das no quiero acordarme sei demnach nicht mit »an dessen Namen ich mich nicht erinnern will« zu übersetzen, sondern eher so: »dessen Name mir jetzt nicht einfällt, nicht einfallen will, ich gerade nicht im Kopf habe«.
Ja.
Drittes Kapitel
in welchem Das Abenteuer des Kornél Esti
mit der deutschen Sprache
K ornél Esti wusste, wann er gealtert war. Wann er alt geworden war. Gestern, Dienstagmorgen, viertel zehn. Freilich, was heißt alt. Alt ist, so Esti, wenn man über sich sagt, man sei alt. Esti umgab sich mit Wörtern, er war sogar der Meinung, die Welt bestehe aus Wörtern. Nun, dazu hätte ich doch einiges zu sagen. Zum Beispiel, gerade im Zusammenhang mit dem Alter, der Tod. Der Tod ist nicht einfach ein Wort. Bitte ausprobieren. Oder das, was auf dem Klo stinkt. Egal, lassen wir das, mag sein, ich habe da etwas falsch verstanden.
Dieser Dienstag benahm sich, keiner weiß, warum, wie ein Sonntag, ein Sonntag alten Schlags, gemütlich, ruhig, langsam, müßig, Esti lag herum und las; überraschend Novellen von Graham Green, dabei mochte er Greens Zynismus nicht, doch wenn er beim Lesen an die Stelle kam, an der ihm das einfiel, fiel es auch der Novelle ein, was sich so als Stärke erwies, als Stärke der Novelle.
Er konnte gut im Liegen lesen, manchmal flach auf dem Rücken, die Hände, in ihnen das Buch, zum Himmel gestreckt, freilich, dazwischen noch die Zimmerdecke, gern jedoch las er seitlich auf den Ellbogen gestützt, abwechselnd auf den linken oder rechten (ausgenommen die zwei Jahre, als ihm irgendeine Beule am linken Ellbogen gewachsen war, irgend so ein Gelenkding, Esti hatte es oft betastet, weil die Substanz so seltsam war, weder Muskel noch Fleisch noch Fett, so ein Dingsbums – man konnte sich darauf abstützen, da es nicht weh tat, aber nach etwa zehn Minuten spürte er von einem Augenblick auf den anderen eine heiße Taubheit und aus seinem Ellbogen wich die Kraft, dieser stürzte regelrecht ein, so dass Esti nicht selten mit dem Gesicht quasi in sein Buch fiel), und wenn auch nicht zu schlafen, so pflegte er doch auch auf dem Bauch zu lesen. Dann stellte er sich vor, er sei eine Frau, warum, das bleibt ein Rätsel.
Noch vor viertel zehn wechselte er die Position. Wüsste ich alles, dann wüsste ich, dass von rechts nach links. Und da, auch für
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