Esti (German Edition)
konnten. Nur im Allgemeinen, doch wir hatten geglaubt, das zähle nicht. Er war sicher in einem besseren physischen Zustand gewesen als ich, ein muskulöser, starker Mann. Er hatte ununterbrochen gearbeitet, von früh bis spät. Er hatte immer gesagt, wortwörtlich, was ich immer sage: Anders geht es nicht. Doch alle arbeiten wir (die wir viel arbeiten) viel, deshalb muss man noch nicht gleich sterben. Ich wusste auch, dass ihre Familie ein großes Unglück getroffen hatte, darauf möchte ich nicht näher eingehen, jemand war gestorben, womit sie sich nicht abfinden konnten. Ihr Leben mochte schön verlaufen, sie lebten im Schmerz. Das ständige Leiden, das hatte ich ihnen, ihm angesehen.
Seine Augen hatten immer gelacht, von allem hatte er sofort die Kehrseite gesehen und das auch zur Sprache gebracht. Er war eher ironisch als humorvoll gewesen. Nichts konnte das Erkennen, Benennen der Kehrseite aufhalten, weder Taktgefühl noch Höflichkeit noch Mitleid. Seine Ironie war beißend, koste es, was es wolle. Zwischen zwei Bissen, zwei Sprüchen jedoch schwieg er tief. Auch nach der Tragödie lachten seine Augen weiterhin, sein Biss wurde, nur eine Idee, schonungsloser, doch dieses Wenige war sehr viel, und in seinen Augen saß neben dem Lachen noch etwas, Leere?, Angst?, keine Ahnung, vielleicht wurden seine Augen physischer, wässriger? Er schien auch mehr zu trinken. Oder wir tranken mehr, wenn wir zusammen waren. Mit ihm zu trinken war sehr gut, er trank schön, mit Verstand, natürlich.
Vielleicht sage ich wässrig, weil wir anfangs, nicht daran denkend, dass wir vorsichtig sein müssten, jene Sache leichtfertig ansprachen oder doch zumindest berührten, und dann kamen ihm sofort die Tränen, liefen über das Gesicht mit den harten Zügen. (Ich kann ihn jederzeit zum Weinen bringen, sagte ich, Idiot, zu mir.) Dann wurden wir vorsichtiger (wie die Edelhuren, pflege ich in so einer Situation zu sagen – das heißt, den Schwanz mit abstehendem kleinen Finger in die Hand nehmen). Man sah, dass dies für immer auf seinem Leben lasten würde.
Am Velencer See änderte sich plötzlich das Licht – – – die Beleuchtung – – – links, vom See her blauer Himmel und strahlender Sonnenschein – – – rechts wütende, dunkle Wolken – – – sie brauten sich zusammen – – – dunkle Wolken brauen sich immer zusammen – – – am Horizont – – – als Drohung, Prophezeiung, Ermahnung, Symbol – – – es erinnerte uns daran, warum wir eigentlich an einem gewöhnlichen Dienstagvormittag hier herumkutschten.
Wie ich gewöhnlich vergesse, ob Rhythmus mit »rh« oder »r«, aber eins von beiden ist falsch, so hatten wir vergessen, ob die Hunde beißen, und ich könnte schöngeistig sagen, dass ich nicht zu sagen vermag, was mehr weh tut, ein Rechtschreibfehler oder in den Arsch gebissen zu werden, jedenfalls warteten wir, dass auf das Klingeln jemand kam. Die designierte Schwiegertochter; wir begrüßten einander flüsternd, im Nachhinein ziemlich lächerlich – – – wozu eigentlich? – – – um niemanden zu wecken? – – – oder weil die ordentliche Begrüßung doch Ausdruck der Freude ist, und die wäre jetzt nicht angemessen?
Als wir das Zimmer betraten, geschah, woran ich unterwegs schon mehrmals gedacht hatte: Schluchzend fielen die beiden Frauen einander in die Arme, und ich stand im Weg herum und wartete, dranzukommen.
König Mátyás – – – nein, Tote ließ er gewöhnlich nicht wiederauferstehen – – – Witwentrost, das ja.
Am Sonntagabend war noch nichts zu merken – – – keinerlei Anzeichen – – – Vorzeichen – – – er spielte lange mit dem Enkelkind – – – denn er war Großvater geworden, und womit niemand gerechnet hatte – – – unerwartet, überraschend – – – hatten die zwei Menschen sich gefunden, Enkel und Großvater – – – Er spielte mit dem Kind. Das war also der Sonntagabend, eine Idylle – – – nirgends brauten sich dunkle Wolken zusammen.
Am Morgen wachte er darüber auf, dass er an den Beinen fror. Was ist los, Papa? Nichts, doch seine Frau sah, was sie noch nie gesehen hatte, das Entsetzen auf seinem Gesicht. Sie hatte dort schon viel gesehen – – – wie jede Ehefrau – – – aber Entsetzen nie. Auch ich nicht, ich kann es mir auch gar nicht vorstellen – – – Misi und das Entsetzen – – – diese Erfahrung hat kein Mensch gemacht, würde ich sagen. Vielleicht könnte König Matthias darüber etwas sagen – –
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