Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
ihn um seinen Körper, sodass sie sich, anstatt wie bisher hinter ihm, jetzt an seiner Seite bewegte. Dadurch fing er selbst die Wucht des Wassers ein wenig für sie ab.
Als sie endlich das andere Ufer erreicht hatten, setzte sich Olivia atemlos und zitternd vor Anstrengung auf einen Stein und beobachtete Lenno, wie er ebenfalls schwer atmend die Gegend mit seinen Blicken durchforstete. Nachdem sie ein Stück am Fluss entlang weitermarschiert waren, fanden sie schließlich einen Platz, an dem sie eine richtige Pause einlegen und ihre Kleidung trocknen konnten. Lenno wirkte wesentlich entspannter als bisher und überprüfte lediglich ab und zu die Gegend.
„Was hast du, Lenno? Warum schaust du dich immer so um?“, fragte Olivia und erntete einen überraschten Gesichtsausdruck.
„Vor dir kann ich aber auch gar nichts verbergen“, leitete er seine Antwort ein und schüttelte dabei den Kopf. „Meiner Meinung nach hatten wir eine Zeit lang einen verborgenen Begleiter. Ich will jedoch nicht, dass jemand unserer Fährte folgt und dich findet. Daher mussten wir die Flussseite wechseln.“
„Meinst du, das war der Berglöwe von heute Morgen?“, wollte Olivia wissen, aber Lenno zuckte lediglich mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht genau. Der Berglöwe wäre nicht wichtig, denn er war ein wildes Tier.“ Er machte eine kleine Pause und überlegte offenbar, ob er sie nicht zu sehr beunruhigen würde, wenn er offen mit ihr sprach. Doch er entschied sich dafür, sie in seine Gedanken einzuweihen und fuhr fort: „Ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn uns ein Tocho verfolgen würde. Aber das kann man leider von Weitem nicht unterscheiden.“
Olivia schaute sich nun selbst nervös in der Gegend um, obwohl sie eigentlich den Eindruck hatte, dass nun die akute Gefahr gebannt war.
„Ein was?“, fragte sie abgelenkt und bemerkte erst, als sie mit ihrer Kontrolle fertig war, dass Lenno sie anlächelte.
„Ein Tocho“, antwortete er, „so einer, wie ich es bin.“ Er kam auf sie zu, streckte seine Hand aus und streichelte zärtlich über ihre Wange. „Und jetzt auch du.“
Am späten Nachmittag bestiegen sie eine der Felsformationen, um weit oben zu einem Plateau zu gelangen. Ein kleiner, kaum wahrnehmbarer Pfad führte sie dort hinauf, der zu beiden Seiten mit hochgewachsenem Gras, wild wuchernden Büschen und einigen alten, teils ausgehöhlten Bäumen gesäumt war. An seinem Ende blieb Lenno plötzlich stehen und nahm Olivias Hand.
„Wapi Zaltana, glücklicher, hoher Berg“, sagte er, und Olivia meinte, einen melancholischen Unterton in seiner Stimme wahrzunehmen, der so gar nicht zu ihm passen wollte. Sie sah ihn neugierig von der Seite an. Anscheinend hatte diese Anhöhe eine besondere Bedeutung für ihn.
Als er ihren Blick bemerkte, lachte er verlegen auf. „Ich war hier früher oft mit meinem Vater. Er hat mir hier das Jagen beigebracht, auf beide Arten, als Mensch und als Berglöwe. Dieser Ort hat seinen Namen verdient und ist für mich einer der schönsten im gesamten Tocho-Gebiet.“
Olivia legte ihren Arm um seine Taille und kuschelte sich in Lennos Umarmung. Es gefiel ihr, diese Seite an ihm näher kennenzulernen und sie freute sich auf ihre gemeinsame Zeit dort. Allein.
Von der Stelle aus, an der sie stehen geblieben waren, wirkte es, als stünden sie im Himmel. Beim Anblick der ebenen, steinigen Fläche, die vor ihnen lag, kam Olivia der Begriff Dachterrasse der Götter in den Sinn und sie musste bei diesem Gedanken lächeln. Ja, dieser Ort war göttlich, wenn nicht sogar magisch. Auf jeden Fall konnte sie sofort nachvollziehen, warum Lenno ihn so mochte.
Sie ließ ihn los und überquerte das Plateau, das in etwa so groß war wie die kleine Lichtung in Tenya Nahele. Einige Schritte vor der Felskante blieb sie mit aufgeregtem Herzklopfen stehen, denn dort ging es steil abwärts.
Wapi Zaltana war derart hoch, dass man einen kilometerweiten Panoramablick über die Weiten Aponovis hatte. Die Sonne stand bereits recht tief am Himmel, sodass die Felsen lange Schatten über die Ebenen warfen.
Olivia stand minutenlang da und konnte nicht genug von dieser Aussicht bekommen. Bis ihr Blick aus der Ferne auf den Rand des Plateaus wanderte und die Frage in ihr aufkam, was sich unterhalb der Felskante befand. Sie hockte sich hin, nahm einen kleinen Stein, warf ihn über den Rand und lausche aufmerksam den Geräuschen. Statt des erwarteten Klickens des Steins auf blankem Felsen hörte sie nur ein kurzes
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