Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
Olivia unbedingt verhindern.
Sie lächelte ihn an und sagte sanft: „Du brauchst keine Angst zu haben. Das sind nur meine Mutter und ihr Freund. Die kommen nicht einfach in mein Zimmer. Ich lass für dich die Tür offen.“
Der Kater setzte sich wieder hin und sah Olivia an, während sich seine Schwanzspitze gemächlich hin- und herbewegte. Er hatte sich entspannt.
Olivia stand vom Bett auf und ging leicht gebückt auf ihn zu. Behutsam platzierte sie sich auf den Fußboden und hielt ihm ihre Hand hin. Zögerlich kam er auf sie zu und schmiegte seinen Kopf sacht gegen ihre Fingerspitzen. Sie kraulte ihn vorsichtig hinter seinen Ohren. Ganz offensichtlich genoss er ihre Streicheleinheiten, denn er begann laut zu schnurren. Olivia lachte erfreut auf, während der Kater sie nicht eine Sekunde aus seinen aufmerksamen Augen ließ.
„So zutraulich, wie du bist, gehörst du bestimmt jemandem. Nur wem? Ich habe dich hier noch nie gesehen und ich kenne jeden deiner Artgenossen in der Umgebung“, überlegte sie laut und betrachtete ihn dabei nachdenklich. Mit gespitzten Ohren schien er jedem ihrer Worte zu folgen und zu verstehen, was sie sagte. „Vielleicht gehörst du den neuen Nachbarn, die nebenan eingezogen sind.“ Sie dachte weiter nach, dann meinte sie schmunzelnd: „Die nächsten Tage bin ich allein hier. Da finde ich leer stehende Häuser in der direkten Nachbarschaft gruselig. Man weiß nie, wer sich darin so herumtreibt!“ Sie lachte vor sich hin. „Aber wenn da jetzt jemand wohnt, werden sie hoffentlich alles, was dort nicht hingehört, verscheucht haben.“
Der Kater verdrehte erneut die Ohren, erhob sich und lief zur Balkontür. Er hielt kurz inne und warf einen letzten Blick auf Olivia, die ihm zum Abschied anbot: „Wenn du willst, komm bald wieder.“ Daraufhin verschwand der Kater.
Den Kopf schüttelnd ging sie zurück zu ihrem Bett und versuchte, sich auf ihren Songtext zu konzentrieren.
***
Nachdem Olivia zwei Tage später sehr früh am Morgen ihre Mutter und Martin verabschiedet hatte, vertrödelte sie den Rest des Vormittags. Sie hatte sich vorgenommen, mit dem Fahrrad zur Bibliothek zu fahren. Über die Ferien musste sie ein Referat in Geschichte vorbereiten und wollte einige Bücher besorgen, die sie dafür benötigte.
Es war zwar herbstlich frisch, aber die Sonne schien. Also wickelte sich Olivia einen warmen Schal um den Hals und fuhr los.
Die Bibliothek lag in der Mitte eines kleinen Parks, in dem sich um diese Zeit junge Mütter mit Kleinkindern auf den Spielplätzen und Rentner zu einer Partie Boule oder Schach trafen.
Vor dem großen Portal einer herrlichen Villa, in der tausende von Büchern in mehreren Etagen beheimatet waren, stellte Olivia ihr Fahrrad ab. Nachdem sie es angekettet hatte, nahm sie ihre Fahrradtasche vom Gepäckträger und schloss diese in einem kleinen Schließfach im Erdgeschoss ein. Wie immer grüßte sie die Dame hinter dem Schalter, die sie bei ihren Besuchen regelmäßig antraf und seit ewigen Zeiten kannte, und lief die Treppen in den 2. Stock hoch. Hier wollte sie einige Geschichtsbücher heraussuchen und sich dann zum Lesen an einen der schnörkeligen Tische setzen.
Olivia liebte diese Bibliothek, weil sie so urgemütlich und verwinkelt war. Es lag ein unverwechselbarer Geruch in diesen Räumen, der sie jedes Mal mit einer inneren Ruhe erfüllte. Gleichzeitig weckte er in ihr aber auch eine kribbelige Vorfreude auf den Lesespaß, den ihr die mit verschiedensten Büchern gefüllten Regale versprachen.
Langsam schritt sie die Reihen ab, strich liebevoll mit ihrem Finger über die Buchrücken und zog hier und da ein Exemplar heraus. Das Knatschen der alten Holzdielen, wenn jemand darüber hinwegschritt, war ein so vertrautes Geräusch für ihre Ohren, dass sie es gar nicht mehr wahrnahm. Erst als sie mit einer anderen Person zusammenstieß, bemerkte sie, dass sie nicht allein in diesem Raum war. Fast hätte sie die Bücher, die sie bereits ausgewählt hatte, auf den Boden fallen lassen.
„Oh, Entschuldigung“, sagte sie verlegen, drehte sich überrascht um und schaute im nächsten Moment in ein ebenso verdutztes Gesicht, das sie darüber hinaus anlachte.
„Hallo, Olivia“, begrüßte Lenno sie.
Ihr Herz machte vor Freude und Erleichterung, ihn wiederzusehen, einen kleinen Sprung und schlug ihr bis zum Hals.
„Lenno? Was machst du denn hier?“, fragte sie aufgeregt.
Aber er antwortete nicht gleich, sondern sah sie einfach nur für einen Moment
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