Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
mit ihr durchgeführt und sich selbst in eine Berglöwin verwandelt. Aber nichts hatte geholfen.
Wenona spürte, wie traurig und verzweifelt Olivia in der da- rauffolgenden Nacht war. Sie setzte sich neben die weiterhin im Berglöwenkörper Gefangene, die sich wie die Nächte zuvor zitternd in der Felswandnische verkrochen hatte. Liebevoll streichelte sie ihr über das Fell und sang ihr etwas vor. Sie hatte eine schöne Stimme, die Olivias menschliche Seite sofort ansprach und beruhigte.
Bereits die halbe Nacht war vergangen, als Olivia in ihrem Kopf die Melodie mitzusummen begann. Ein starkes Ziehen durchfuhr plötzlich ihren Körper und ihre Sicht war durch ein seltsames Flackern in ihren Augen getrübt. Die unerwartete Kälte empfing sie gnadenlos und Olivia kauerte sich frierend zusammen.
Wenona sprang hastig auf, lachte und rief erfreut: „Du hast es geschafft, Soyala!“ Ohne Umschweife griff sie nach einer Decke und wickelte diese um Olivias bloßen Körper, der nun statt dem der Berglöwin auf den Fellen lag.
Fassungslos starrte Olivia an sich hinunter. Endlich war dieser Schrecken vorbei! Vor Freude fiel sie Wenona um den Hals und hätte beinahe Lennos Warnung vergessen, niemandem ihre Stimme zu offenbaren. Sie wollte einfach nur losjubeln und ihr danken, konnte sich aber im letzten Augenblick doch zurückhalten.
Vorsichtig nahm Wenona Olivias Gesicht in die Hände und betrachtete es neugierig. „Ein hübsches Mädchen hat sich mein Bruder da ausgesucht“, sagte sie sanftmütig und strich Olivia dabei einige Strähnen aus ihrer Stirn. Liebevoll fuhren Wenonas Daumen über ihre Wangen. „Du hast schöne, helle Haut und grüne Augen. Eine einzigartige Mischung.“
Diese Reaktion verunsicherte Olivia leicht. Natürlich hatte Wenona sie zuvor niemals in ihrer menschlichen Gestalt gesehen, doch wunderte es sie, dass ihr Aussehen so außergewöhnlich sein sollte. Dieser Gedanke verflog aber genauso schnell, wie er gekommen war, und ihr Wunsch, Lenno endlich in ihre Arme schließen zu können, schob sich in den Vordergrund.
Das Wiedersehen mit Lenno sollte sich jedoch einige Zeit hinziehen. Denn nachdem Olivia es geschafft hatte, ihre menschliche Gestalt anzunehmen, musste dieser Zustand stabilisiert werden, bevor sie sich unter anderen Menschen bewegen konnte. Eine ausgewachsene Berglöwin nicht kontrollieren zu können, war zu unberechenbar und gefährlich. Nicht nur für ihre Umgebung, sondern auch für Olivia selbst. Im Notfall würden die anderen entsprechend reagieren und wesentlich erfahrener sein als sie.
Olivia nahm immer wieder die Gestalt der Berglöwin an, ohne jeglichen Einfluss darauf zu haben, denn die Katzenseele mit ihren tierischen Instinkten brach stetig durch und kämpfte gegen die menschliche Überlegenheit an.
„Das Wichtigste ist erst einmal, dass du lernst, deine eigene Gestalt aufrechtzuerhalten“, meinte Wenona, während die beiden entsprechende Meditationen durchführten. Es war sehr anstrengend und befremdlich für Olivia, Teil dieser Rituale zu sein. Dennoch wollte sie alles dafür tun, Lenno so bald wie möglich wiederzusehen. Geduldig ließ sie sich von Wenona spirituell führen, und sie schafften es zumindest, dass ihre Gestalt in der momentanen Situation stabil blieb. Trotzdem hatte Olivia nicht das Gefühl, wirklich die Kontrolle über ihre Gestalten zu haben. Immerhin hörten die willkürlichen Verwandlungen auf und sie konnte ausschließlich in ihrer menschlichen Gestalt verweilen.
Diese Tage waren wie eine Achterbahnfahrt, und bei allen Höhen und Tiefen wich Wenona ihr nicht von der Seite. Die halbe Stunde nach Sonnenuntergang blieb die einzige Ausnahme. Vermutlich war dies die Zeit, die sie mit ihren Töchtern verbrachte. Daran konnte Olivia die Tageszeit festmachen und bekam eine ungefähre Vorstellung davon, wie lange sie bereits an diesem Ort war.
Nachdem Wenona ganz sicher gewesen war, dass Olivias Zustand so beständig war, dass sie sich nicht mehr in eine Berglöwin verwandelte, brachte sie eine Schüssel Wasser, das wunderbar nach Lavendel duftete. Als Olivia ihr Haar hinten zu einem Zopf zusammennahm, um es darin zu waschen, hob Wenona ihre Hand, berührte sanft die Stelle, an der Lenno sie markiert hatte, und flüsterte verblüfft: „Das hat Yuma für sich behalten.“
Schnell bedeckte Olivia die Markierung mit ihren eigenen Fingern und drehte sich erschrocken zu ihr um. Entgegen ihrer Erwartung lächelte Wenona sie an, umarmte sie unversehens und
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