Ethan von Athos
sinkt.
»Oh, Scheiße « , schrie Kommandantin Quinn und sprang vorwärts. Der Betäuber sauste klappernd über die Laufplanke, wurde über die Seite geschleudert, pfiff durch die Luft und zerbarst weit unten in glühende Scherben. Ihr Griff kam zu spät, erreichte Okitas Hosenbein nicht mehr. Unter ihrem zerbrochenen Fingernagel trat Blut hervor. Okita folgte, Kopf voraus, dem Betäuber.
Ethan glitt an der Innenseite des Geländers herunter und blieb kauernd auf dem Netz liegen, in Augenhöhe mit den Stiefeln der Frau, die auf Zehenspitzen stand und über das Geländer hinunterspähte. »Mann, das tut mir wirklich leid«, bemerkte sie und leckte an ihrem blutenden Finger. »Bis jetzt habe ich noch nie einen Mann aus Versehen getötet. Das ist unprofessionell.«
»Schon wieder Sie«, krächzte Ethan.
Sie grinste breit. »Was für ein Zufall.«
Der Körper, der drunten auf dem Deck gespreizt lag, hörte auf zu zucken. Ethan starrte hinab, bleich im Gesicht. »Ich bin Arzt. Sollten wir nicht hinunter gehen und … hm …«
»Ich glaube, dafür ist es zu spät«, sagte Kommandantin Quinn. »Aber ich würde über diesen widerlichen Kerl keine Tränen vergießen. Ganz abgesehen davon, was er Ihnen gerade antun wollte, hat er vor fünf Monaten auf Jackson’s Whole geholfen, elf Leute umzubringen, nur um das Geheimnis zu vertuschen, das ich zu lüften versuche.«
Ethans Denken war zäh wie Sirup. »Wenn Leute dafür umgebracht werden, dass sie einfach dieses Geheimnis kennen, wäre es dann nicht viel sinnvoller, wenn man vermeidet, es zu lüften?« Er bemühte den Rest seines Scharfsinns. »Wer sind Sie überhaupt in Wirklichkeit? Warum folgen Sie mir?«
»Eigentlich folge ich Ihnen überhaupt nicht. Ich folge Ghem-Oberst Luyst Millisor und dem so charmanten Hauptmann Rau und ihren beiden Schlägern – ach, ihrem einen Schläger. Millisor ist an Ihnen interessiert, deshalb bin ich es auch.«
»Warum?«, wimmerte er erschöpft.
Sie seufzte. »Wenn ich auf Jackson’s Whole zwei Tage vor denen angekommen wäre, statt zwei Tage nach ihnen, dann könnte ich es Ihnen sagen. Was den Rest Ihrer Frage angeht – ich bin wirklich Kommandantin bei den Dendarii-Söldnern, und alles, was ich Ihnen gesagt habe, ist wahr, außer, dass ich nicht auf Heimaturlaub bin. Ich habe einen Auftrag. Sie können in mir eine gemietete Spionin sehen. Admiral Naismith diversifiziert unsere Dienste.«
Sie hockte sich neben ihm nieder, überprüfte seinen Puls, seine Augen und Augenlider, seine gestörten Reflexe. »Sie sehen übel mitgenommen aus, Doktor.«
»Das verdanke ich Ihnen. Die haben Ihren Tracer gefunden. Und sind zu dem Schluss gekommen, ich sei ein Spion. Haben mich verhört …« Er merkte, dass er unkontrollierbar zitterte.
Ihre Lippen bildeten einen kurzen, grimmigen Strich. »Ich weiß. Tut mir leid. Ich habe gerade Ihr Leben gerettet, hoffentlich haben Sie das bemerkt. Vorläufig.«
»Vorläufig?«
Sie deutete mit einem Nicken auf das Deck unter ihnen. »Nach diesem Vorfall wird sich Oberst Millisor ziemlich über Sie aufregen.«
»Ich werde zu den Behörden gehen …«
»Ach – hm. Ich hoffe, Sie lassen das lieber. Erstens glaube ich, dass die Behörden Sie nicht gut genug schützen könnten. Zweitens würde dadurch meine Tarnung auffliegen. Bis jetzt hat Millisor noch gar keinen Verdacht, dass es mich überhaupt gibt, glaube ich.
Da ich hier schrecklich viele Freunde und Verwandte habe, würde ich es lieber so lassen, da Millisor und Rau nun mal so sind – wie sie sind. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
Er hatte das Gefühl, er sollte eigentlich mit ihr streiten. Aber ihm war übel, und er war schwach – und außerdem, fiel ihm ein, noch sehr hoch oben in der Luft. Schwindel packte ihn. Wenn sie sich entschloss, ihn Okita hinterzuschicken … »Jaa«, murmelte er. »Ah, was … was werden Sie mit mir machen?«
Sie stützte die Hände auf die Hüften und blickte mit gerunzelter Stirn nachdenklich auf ihn hinab. »Da bin ich mir noch nicht sicher. Ich weiß noch nicht, ob Sie ein As oder ein Joker sind. Ich glaube, ich werde Sie noch eine Weile in meinem Ärmel behalten, bis ich herausfinde, wie ich Sie am besten ausspielen kann. Mit Ihrer Erlaubnis«, fügte sie nach einem Moment nachträglich hinzu.
»Als Strohmann«, murmelte er düster. Sie verzog eine Augenbraue. »Vielleicht. Wenn Sie eine bessere Idee haben, dann spucken Sie sie aus.«
Er schüttelte den Kopf, woraufhin stechende Schmerzen durch
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