Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Lebens hinaus hoffen, sehen sie im Abschied vom irdischen Leben keine Katastrophe. Ihre Hoffnung gilt der Auferstehung der Toten; damit ist gesagt, dass Gott die Beziehung zu jedem Menschen über seinen Tod hinaus hält und erneuert. Die Auferweckung Jesu aus dem Tod ist das Unterpfand dieser Hoffnung. Weil der Tod der Durchgang zu einem neuen Leben ist, lässt sich das Sterben als Teil des Lebens annehmen. Es klingt wie ein Bonmot, hat aber einen tiefen Sinn, wenn vom französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle berichtet wird, er habe auf die Frage, wie er sterben wolle, geantwortet: «Lebend!» (Geiger 2011: 179)
Das Annehmen der eigenen Endlichkeit aus einer Hoffnung, die über den eigenen Tod hinausreicht, kann den Umgang mit den Erfahrungendes Alters prägen. Auch in späten Abschnitten des Lebens ist mit der Möglichkeit des Neu-Werdens zu rechnen (EKD, Alter 2009: 38ff.). Dass Menschen trotz allem, was war und ist, neu anfangen können, beschreibt Jesus im Gespräch mit Nikodemus, einem alten Mann, in dem Bild der Wiedergeburt (Johannes 3,1ff.).
Wie verhält sich die Zuversicht, auch im Alter neu werden zu können, zum Alter selbst? Typisierend lassen sich drei Phasen im höheren Alter voneinander unterscheiden, die sich individuell früher oder später einstellen und unterschiedlich lang andauern können. In der ersten Phase verfügen ältere Menschen über die Fähigkeit, sich in einem weiteren Umkreis Neues anzueignen und Aufgaben zu übernehmen; das zeigt sich unter anderem daran, dass in Deutschland gegenwärtig die Altersgruppe zwischen 65 und 74 Jahren den höchsten Umfang an freiwilligen Tätigkeiten übernimmt. In einer weiteren Phase können ältere Menschen für ihren eigenen Lebensumkreis verantwortlich sein und die Aufgaben des täglichen Lebens selbständig erledigen. In einer dritten Phase sind sie für die Meisterung des täglichen Lebens auf die Hilfe anderer angewiesen, oder sie sind pflegebedürftig.
Es dient dem erfüllten Leben des Einzelnen, aber auch dem gesellschaftlichen Zusammenleben, wenn Menschen dazu befähigt werden, so lange wie möglich in den beiden ersten Phasen zu bleiben. Das hängt nicht nur von der Bereitschaft zu persönlicher Anstrengung und eigenem Einsatz ab, sondern auch von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Zu ihnen gehört ein zureichendes Auskommen im Alter. Angesichts der demographischen Verschiebungen setzt das eine längere Lebensarbeitszeit und einen flexibleren Umgang mit der Altersgrenze für berufliche Tätigkeiten voraus. Nur dadurch lassen sich gravierende Abstriche an der Altersversorgung in Grenzen halten; andernfalls werden sie wegen des veränderten Altersaufbaus der Gesellschaft unvermeidlich. Die Ausweitung der Lebensarbeitszeit wird freilich nur dann überzeugend gelingen, wenn eine längere Erwerbsarbeitszeit nicht als unangemessene Belastung, sondern als sinnvolle Inanspruchnahme der Erfahrung und Leistungsfähigkeit Älterer angesehen wird. Dagegen werden die Verständigung und der Ausgleich zwischen den Generationen durch übertreibende Darstellungen – sei es «das Methusalem-Komplott» oder «die gierige Generation» – eher behindert als gefördert.
Für ältere Menschen verändern sich die Beziehungen zu anderen. Berufliche Kontakte treten zurück und oberflächliche Verbindungen verlieren an Relevanz. Der Austausch konzentriert sich auf einen Kreis von Menschen, der subjektiv als wichtig und bedeutsam angesehen wird; Jüngere, die von sich aus den Kontakt aufrechterhalten, gewinnen oft eine Schlüsselstellung. Die Gemeinschaft mit anderen wird zu einem wichtigen Raum für die Bewahrung und Weiterentwicklung sozialer und mentaler Kompetenzen. Beziehungen werden vor allem im familiären Umfeld gesucht und gepflegt; das Ausmaß, in dem Ältere im Austausch mit Jüngeren stehen, hängt deshalb eng mit dem familiären Generationenverbund zusammen. Kinderlose sind häufig von Einsamkeit bedroht, doch die persönlichen Kontakte sind nicht zwangsläufig auf Mitglieder der eigenen Familie beschränkt. Kleine Lebenskreise, Freizeitgemeinschaften, Nachbarschaftsnetze und Seniorentreffs bieten ebenfalls Chancen dazu, neue Kontakte zu knüpfen. Durch solche Begegnungen wächst das Gefühl, angenommen zu sein, am Leben anderer teilhaben und die eigenen Fähigkeiten einbringen zu können. Dieser Austausch kann auch für Jüngere ein Grund zur Freude und eine prägende menschliche Erfahrung sein. Für Ältere behält er auch dann
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