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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Industrialisierung der Landwirtschaft hat dieses Problem keineswegs gelindert, sondern verschärft. Sie hat die Bauern von einer nachhaltigen Subsistenzwirtschaft entfremdet; mit dem Kapitalaufwand für eine industrialisierte Landwirtschaft aber sind sie hoffnungslos überfordert.
    Vindana Shiva ist besonders dadurch beunruhigt, dass sich innerhalb von fünfzehn Jahren 250.000 indische Bauern das Leben genommen haben. Eine Ursache für diese tragische Entwicklung sieht sie in einer Überschuldung, der die Bauern nicht mehr gewachsen waren. Die Lösung, so argumentiert sie, könne nur in der Umstellung auf eine nachhaltige, an den Bedingungen bäuerlicher Subsistenz orientierte und ökologisch verantwortliche Landwirtschaft liegen. Die weibliche Landbevölkerung muss dazu befähigt werden, diese Umstellung voranzutreiben (Shiva 2012: 69).
Absolute und relative Armut
    Der Hunger in Indien verdeutlicht die ethische Herausforderung durch weltweite massenhafte Armut. Armut ist in der gegenwärtigen Welt ein globales und zugleich ein lokales Phänomen. Die Bemühungen darum, allen Teilen der Menschheit ein auskömmliches Leben zu ermöglichen, halten mit dem globalen Wirtschaftswachstum nicht Schritt. Vielmehr wird die Kluft zwischen Reichtum und Armut immer tiefer. Dabei tragen Frauen die Hauptlast der Armut. Sechzig Prozent der unbezahlten Arbeit, die weltweit erbracht wird, werden von Frauen geleistet; siebzig Prozent der Menschen, die weltweit Hunger leiden, sind weiblich; achtzig Prozent der Grundnahrungsmittel in Entwicklungsländern werden von Frauen unentgeltlich erzeugt.
    Als absolute Armut wurde in Kapitel 5 eine Lebenssituation bezeichnet, in der die Grundbedürfnisse der Menschen nicht befriedigt werden können. Absolute Armut meint eine ungenügende Ausstattung mit lebenswichtigen Gütern, so dass das Existenzminimum unterschritten wird. Nur wenige können dieser Armut durch eigene Kraft entkommen. Viele haben keinerlei Chance, ihrem Leben durch eigene Tüchtigkeit eine Wendung zum Besseren zu geben. Sie bleiben an die Bedingungen ihrer Herkunft gebunden, vor allem durch unzureichende Ernährung seit der frühen Kindheit oder durch Bildungsferne der Familie. Viele sterben schon als Kinder, haben keine Chance zum Schulbesuch oder können aus schierem Hunger nichts lernen. Armut ist ein Teufelskreis.
    Wer unter Armut leidet, braucht sich über deren Definition keine Gedanken zu machen. Sie ist für ihn eine physische, seelische und soziale Wirklichkeit. Trotzdem bereitet die Definition des Begriffs Schwierigkeiten. Der absoluten Armut hat man die relative Armut gegenübergestellt. Dieser Begriff orientiert sich an dem Abstand der am schlechtesten Gestellten vom durchschnittlichen Wohlstand einer Gesellschaft. Bei schlichten Durchschnittsrechnungen würde das dazu führen, dass die Zahl der Armen zunimmt, wenn der Wohlstand der Reichsten wächst; umgekehrt könnte die Zahl der Armen rechnerisch sinken, wenn einige besonders Reiche das Land verlassen. Um solche Verzerrungen zu vermeiden, orientiert man sich am «Median», dem Einkommen, das in der Mitte der Gesellschaft liegt, also weniger odergleich viel wie das Einkommen von 50 Prozent der Bevölkerung und mehr oder gleich viel wie das Einkommen der anderen 50 Prozent beträgt. Die Grenze zur relativen Armut wird unterschiedlich, nämlich zwischen 40 Prozent und 60 Prozent des Medians, angesetzt. Einzelne Veränderungen am oberen oder unteren Rand der Einkommenspyramide haben bei dieser Betrachtungsweise ebenso wenig Einfluss auf den Anteil relativer Armut an der Gesamtbevölkerung wie eine Einkommenssteigerung, die alle Gruppen in gleicher Weise betrifft. Doch erhöht sich bei einer allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstandssteigerung auch die materielle Grenze, unterhalb derer von relativer Armut gesprochen wird. Das gehört zu den Schwierigkeiten eines relativen Armutsbegriffs; er hat dennoch einen Sinn, weil er auf das Maß an Ungleichheit hinweist, das durch eine allgemeine Wohlstandsmehrung keineswegs automatisch vermindert wird.
    Die wachsenden Unterschiede in Lebensstandard und Lebensbedingungen betreffen nicht nur Länder im Armutsgürtel der Erde, sondern ebenso Schwellenländer und wohlhabende Industriestaaten. Mit der Begründung, dass diese Länder der Konkurrenz auf dem globalen Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, entwickeln sich sogar in prosperierenden Ländern mit steigendem Bruttoinlandsprodukt die Arbeitseinkommen rückläufig oder stagnieren

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