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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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sicherstellen. Experimentelle Kunstformen müssen sich entwickeln können,auch wenn es für sie (noch) keinen Markt gibt. Deshalb braucht der Markt, auf dem Kulturgüter und kulturelle Dienstleistungen angeboten werden, eine Ergänzung durch staatliche Kulturpolitik, durch das kulturelle Engagement von Bürgerinnen und Bürgern sowie durch die Kulturverantwortung von Unternehmen. Persönliche, berufliche und institutionelle Verantwortung müssen zusammenwirken, wenn auch in Zukunft kulturelle Vielfalt so gewahrt und weiterentwickelt werden soll, dass Anspruchsvolles und Leichtgängiges in gleicher Weise ihre Chance erhalten (Zimmermann/Schulz 2013).

8. Gewissen
    Lässt sich Gewissensfreiheit lernen – und schützen?
    Im März 2009 stand ich in Istanbul vor dem Verlagsgebäude der Zeitschrift Agos, die von dem armenischen Journalisten türkischer Staatsangehörigkeit Hrant Dink gegründet worden war. Ich befand mich genau an der Stelle auf dem Gehweg, an der Hrant Dink zwei Jahre zuvor, am 19. Januar 2007, umgebracht worden war.
    Schon lange kannte ich das in der Türkei verordnete Schweigen über die Katastrophe, die in den Jahren 1915 bis 1917 durch die von den Jungtürken zu verantwortende Vertreibung und massenhafte Tötung über das armenische Volk hereingebrochen war. Umso mehr bewundere ich Menschen, die damals den Mut hatten und heute den Mut aufbringen, den Massenmord an den Armeniern und anderen christlich geprägten Völkerschaften in der Endzeit des Osmanischen Reiches beim Namen zu nennen. Hrant Dink gehörte zu ihnen.
    Als ein von ihm gemeinsam mit seiner Frau Rahel geleitetes armenisches Ferienheim Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts beschlagnahmt wurde, erfuhr er am eigenen Leib, wie staatliche Repression die Lebensmöglichkeiten christlicher Armenier in der Türkei einschnürte. Ein Jahrzehnt später gründete er die Zeitung Agos, die heikle politische Themen auf Armenisch und Türkisch diskutiert. Dink selbst wurde mehrfach wegen «Verächtlichmachung des Türkentums» angeklagt; unter anderem hatte er seinen Schmerz darüber zum Ausdruck gebracht, dass durch den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich ein Volk, das viertausend Jahre auf diesem Boden gelebt hatte, vernichtet worden ist. Wegen der Gerichtsurteile, mit denen er im eigenen Land mundtot gemacht werden sollte, wandte er sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch bevordort eine Entscheidung fiel, wurde er vor dem eigenen Redaktionsgebäude ermordet (vgl. Dink 2008).
Gewissensfreiheit als Menschenrecht
    Das Schicksal von Hrant Dink zeigt exemplarisch, wie eng Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit miteinander verbunden sind. Für die kleine Minderheit christlicher Armenier suchte er nach einer Lebensmöglichkeit in der Türkei. Seine tiefsten Überzeugungen veranlassten ihn dazu, ein öffentliches Forum für unbequeme Meinungen zu schaffen. Die Freiheit der gelebten Überzeugung und die Freiheit der öffentlich geäußerten Meinung gehören zusammen.
    Wo die eine dieser beiden Freiheiten bedroht ist, ist auch die andere in Gefahr. Verbunden sind sie beide in der Freiheit des Gewissens. Wer seinem Gewissen folgt, nimmt die Freiheit des Glaubens in Anspruch. Wer seinem Gewissen folgt, steht für die gewonnene Überzeugung ein und äußert seine Meinung. In der einen wie in der anderen Hinsicht ist er an Gründen interessiert, stellt sich dem Argument, ist offen für bessere Einsicht. Aber er lässt seine Gewissensüberzeugung nicht mit Zwang oder Gewalt brechen.
    Die Überzeugung, dass die Freiheit des Gewissens eine unübersteigbare Schranke für die Ausübung politischer Macht darstellt, wurde in der Konfrontation Martin Luthers mit der kaiserlichen Macht auf dem Reichstag in Worms 1521 exemplarisch dokumentiert. Auf die Aufforderung, seine Schriften zu widerrufen, antwortete Luther am zweiten Tag seiner Anhörung vor Kaiser und Reich mit der Unterscheidung zwischen drei Arten von Äußerungen: Seine Predigten und Auslegungen der Bibel für die christliche Gemeinde nannte er als erste Gruppe; sie würden auch von seinen Gegnern nicht beanstandet und seien schriftgemäß. In einer zweiten Gruppe von Schriften nehme er Klagen über die Missstände des römischen Kirchenwesens auf, die in der deutschen Nation weit verbreitet seien. So könne allein die dritte Gruppe von Schriften strittig sein, in denen er die Lehre Christi erörtere. Er sei bereit, diese Schriften zu widerrufen, wenn ihm dafür

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