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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Anstößen entwickelt, als «mündiges Gewissen» bezeichnen.
    Die Bereitschaft, Gewissensfragen zu reflektieren, zu ihnen verantwortliche Entscheidungen zu treffen und zu diesen Entscheidungen zu stehen, zeichnet das «mündige Gewissen» aus. In ihm prägt sich ein «Mitwissen mit sich selbst» aus, das von Freiheit bestimmt ist und zur Verantwortung befähigt. Es ist nicht von der Vorstellung beherrscht, auf alle Fragen eigene Antworten finden zu müssen, denn die Frage nach dem, was für alle gilt, erfordert nicht originelle, sondern richtige Antworten. Auch wenn es um die Gestaltung des persönlichen Lebens geht, muss jeder berücksichtigen, welche Auswirkungen die selbst gewählte Lebensform für andere haben kann. Aus solchen Gründen ist der Begriff des «mündigen Gewissens» für unseren Zusammenhang aussagekräftiger als derjenige des «autonomen Gewissens».
Elemente des Gewissens: Urteilsfähigkeit und Verbindlichkeit
    Man kann zwei Seiten des Gewissens unterscheiden: Zum einen handelt es sich um die
Fähigkeit
, Handlungsziele und Handlungsweisen unter sittlichen Gesichtspunkten als richtig oder falsch beziehungsweise als gut oder schlecht zu beurteilen und demgemäß ein «gutes» oder ein «schlechtes Gewissen» zu haben. Zum andern äußert sich das Gewissen als die
Erfahrung
einer inneren Verbindlichkeit, etwas zu tun oder zu unterlassen (vgl. Hilpert 2006: 621).
    Die Fähigkeit zum Gewissensurteil wird unterschiedlich gedeutet: als die Präsenz einer göttlichen Instanz im Menschen, als eine mit der Natur des Menschen gegebene Fähigkeit, Richtiges und Falsches beziehungsweise Gutes und Schlechtes voneinander zu unterscheiden, als ein mit der Sozialisation des Menschen sich ausbildender Kanon von Urteilsschemata, als ein verinnerlichtes Über-Ich, das sich in der Reaktion auf die erzieherischen Autoritäten der Umwelt gebildet hat. Diese vier vorrangigen Deutungen des Gewissens schließen einander nicht zwingend aus. Mit dem Gedanken, dass sich im Gewissen die Gottoffenheit des Menschen manifestiert, lässt sich die Einsicht durchaus verbinden, dass das Gewissen sich im Lauf der menschlichen Lebensgeschichte bildet. Auch das Vertrauen darauf, dass der Mensch in seinem Gewissen «richtig» und «falsch» sowie «gut» und «schlecht» voneinander unterscheiden kann, hängt nicht an der Voraussetzung, dass damit zeitlose Werturteile von naturrechtlicher Qualität gemeint sind. Dass sich im Gewissen unbewusste, heteronome Bindungen auswirken können, schließt nicht aus, dass auch solche Bindungen bearbeitet und auf diese Weise in bewusste Lebenshaltungen überführt werden können.
    Die Berufung auf das Gewissen enthält keine Garantie für die Angemessenheit der Entscheidung, für die man das Gewissen in Anspruch nimmt. Deshalb müssen Gewissensentscheidungen überprüft werden und sie können sich auch ändern. Aber zum Gewissen gehört die Erfahrung einer inneren Verbindlichkeit; sie verleiht Gewissenskonflikten ihre besondere Dramatik. Das gilt nicht nur bei Konflikten zwischen den Gewissensüberzeugungen verschiedener Menschen, sondern auch beim inneren Zwiespalt zwischen zwei Entscheidungsrichtungen, für die jeweils starke Emotionen oder Vernunftgründe sprechen. Oft werden dieseKonflikte als Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung beschrieben, aber das ist nur eine ihrer Formen. Oft zeigen sie sich auch in der Spannung zwischen Eigennutz und Empathie, zwischen persönlichem Vorteil und Gemeinwohl. Das ist das Material der Alltagskonflikte, in denen die Fähigkeit zu gewissenhaften Entscheidungen besonders wichtig ist. Häufiger als in «Gewissensentscheidungen» zeigt sich die Bedeutung des Gewissens darin, ob Menschen zu «gewissenhaften Entscheidungen» imstande sind (Löwe, in: Ebeling/Koch 1984: 1).
    Gewissenhaftigkeit sowie die Fähigkeit zur Lösung von Gewissenskonflikten entstehen durch Gewissenserziehung und Gewissensbildung. Dafür sind die Prägungen in Kindheit und Jugend von großer Bedeutung. Aber die Frage nach dem Gewissen begleitet uns ein Leben lang.
Wie entsteht Gewissen?
    Gewissensbindung setzt Gewissensbildung voraus. Von der Freiheit des Gewissens kann nur Gebrauch machen, wer sich seines Gewissens bewusst ist. Verbreitet ist die Vorstellung, wer sich auf das Gewissen berufe, brauche keine weiteren Gründe mehr geltend zu machen. Doch das Gewissen umfasst, wie wir sahen, zwei Komponenten: Neben der Erfahrung der Verbindlichkeit steht die Fähigkeit, etwas als richtig oder

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