Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Unterscheidung vom «gewöhnlichen Leben» ist anfänglich nicht ausgeprägt; die «festgesetzten Grenzen von Zeit und Raum» sind ebenso wenig bewusst wie die «unbedingt bindenden Regeln». Entwickelte Formen des Spielens sind zwar in ihrem außeralltäglichen Charakter, ihrer Bindung an Zeit und Raum sowie in der Geltung fester Regeln näher an Huizingas Definition. Allerdings tritt nun unter Umständen die Selbstzwecklichkeit zurück. Das ist überall dort der Fall, wo das Spiel sich als Wettkampf gestaltet und das Ziel zu siegen sich über den zweckfreien Charakter des Spiels legt. Noch stärker wird der Bezug auf einen bestimmten Zweck, wenn der Wettkampf öffentlich stattfindet und bestimmten wirtschaftlichen Absichten dient. Dennoch gibt es ein Kontinuum zwischen dem Spiel des Kindes und dem Endspiel einer Fußballmeisterschaft (vgl. Rauff 2005; Bredekamp 2007). Spiel und Sport zählen gerade insofern zur Kultur, als diese es nicht nur mit der Sphäre des Geistes in einem abgesonderten Sinn zu tun hat, sondern die Leiblichkeit des Menschen einbezieht.
Sport: Kult oder Kultur?
Spiel und Sport als Teile der Kultur sind allerdings besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Das zeitvergessene und fantasiegeleitete Spielen des Kindes droht durch die Allgegenwart der Medien überlagert zu werden(vgl. Kapitel 10). Sport als bewusstes und selbst gewähltes Bewegungshandeln wird kommerzialisiert. Teile des Spitzensports werden in die Unterhaltungsindustrie integriert, und deren Maßstäbe entscheiden dann auch über Wohl und Wehe einzelner Sportler, ihrer Trainer und der Funktionäre.
Der Sport ist auf eine umfassende Erfahrung menschlichen Lebens gerichtet. Das zeigt sich an seiner naturalen, personalen und sozialen Dimension. In naturaler Hinsicht ist er Bewegung in Raum und Zeit, bei der Menschen dem eigenen Körper begegnen; in Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit hat er einen wichtigen Maßstab und ein wichtiges Ziel. In personaler Hinsicht ist der Sport ein Ausdruck menschlicher Kreativität und Gestaltungskraft: In ihm erfährt der Mensch sich selbst in der Einheit von Körper, Seele und Geist. Dadurch kommt im Sport die persönliche Würde des Menschen zum Ausdruck. In sozialer Hinsicht verschränken sich im Sport Zusammenspiel und Wettkampf, Kooperation und Konkurrenz.
Doch die kulturelle Gestalt des Sports, die sich in diesen drei Dimensionen zeigt, kann zum Kult im negativen Sinn des Wortes werden. So kann die naturale Dimension des Sports sich in einen
Kult des Körpers
steigern. Größtmögliche körperliche Leistungsfähigkeit gilt dann als oberstes Ziel. Wie sich am Beispiel des Doping und des gesundheitsgefährdenden Leistungssports vor allem in Kindheit und Jugend zeigt, kann das zur dauerhaften Schädigung des eigenen Körpers führen. Die personale Dimension des Sports kann sich in einen
Kult des Siegens
verwandeln; dann zählt nur noch die Überlegenheit über den andern, und es kommt zur Abwertung des Verlierers. Die soziale Dimension des Sports schließlich kann in einen
Kult der Gewalt
umschlagen. Sie zeigt sich nicht nur in Gewalt gegen den eigenen Körper, sondern auch in Angriffen auf die körperliche Integrität des Gegners oder in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sportfans (Huber 1999).
Durch die immer weiter fortschreitende Kommerzialisierung verschärfen sich die ethischen Grundsatzfragen für den organisierten Sport. Fairness, Gewalt und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind die drei wichtigsten ethischen Herausforderungen.
Die ethische Bedeutung des Sports besteht vor allem in der Einübung und Befolgung des
Fairness-Prinzips
. Die Grundsätze des Fair Play sowie die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Sports tragen dazubei, dass Rivalen sich von Gleich zu Gleich begegnen und keiner einen unlauteren Vorteil erhält. In diesen Grundsätzen und Regeln drückt sich der Respekt vor der gleichen Freiheit jedes Beteiligten aus. Deshalb gehört es zum Sport, dass Diversität – der Herkunft, des Standes, der Religion, der sexuellen Orientierung und so fort – akzeptiert wird und für die Beurteilung der sportlichen Leistung ohne Bedeutung ist. Fairness in diesem Sinn ist für die Gesellschaft insgesamt wichtig (Rawls 2006; siehe oben S. 82f.).
Fairness als Respekt vor jedem Beteiligten in seiner gleichen Freiheit setzt voraus, den Anderen wie sich selbst nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Leistung und Erfolg zu sehen, sondern in seiner eigenen Würde zu
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