Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
puritanischen Arbeitsverständnisses. Die Hinwendung zur wissenschaftlichen Bemächtigung der Welt, die Verbindung von rational geplantem Gewinnstreben und bewusstem Konsumverzicht sowie eine individualistische Vorstellung von beruflichem Erfolg finden auf diese Weise Eingang in die moderne Wirtschaftsethik.
Gegen Webers These wurde eingewandt, der entscheidende Einfluss der Reformation liege nicht in der innerweltlichen Askese, sondern in der starken Förderung des Bildungswesens. Das muss sich nicht ausschließen, vielmehr spricht manches dafür, dass beide Aspekte zusammengehören: «Die allgemeine Alphabetisierung, die Luther und nach ihm die protestantische Kirche vorantrieben, waren von Anfang an ein Instrument, durch das die Askese aus dem Kloster in die Außenwelt getragen wurde.» (Braun 2012: 147)
Neues Arbeitsethos und Beteiligungsgerechtigkeit
Ist damit der Frieden zwischen dem protestantischen Arbeitsethos und der modernen, kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung ein für allemal gesichert? Das ist keineswegs der Fall. Die Wahlverwandtschaft zwischen Zügen des reformatorischen Berufsverständnisses und der kapitalistischen Wirtschaftsweise bedeutet keineswegs eine friedliche Harmonie zwischen beiden. Auch die innerweltliche Askese im calvinistisch-puritanischen Sinn rechtfertigt es nicht, dass die Akkumulation von Gütern zum Selbstzweck wird. Werner Conze beschreibt die bleibende Differenz mit klaren Worten: «In der modernen Erwerbswelt … darf es reine Zufriedenheit nicht mehr geben, weil sie prinzipiell Stillstand oder Rückschritt bedingt. So führt keine Brücke von christlicher Arbeit zum modernen ‹Kapitalismus›. Die moderne Arbeitswelt ist achristlich, im Kern antichristlich, mochte das auch in ihrem Aufkommen verschleiert werden; denn in der politisch-sozialen Praxis gab es genug fließende Übergänge vom Arbeitsethos des Protestantismus zur modernen Wertung der Arbeit.» (Conze, Arbeit 1972:166)
Vom protestantischen Arbeitsethos her ergibt sich also zum einen ein klarer Vorbehalt gegenüber der Kapitalakkumulation als Selbstzweck.Daneben tritt ein ebenso klarer Widerspruch zur Sinnentleerung der Arbeit, beispielsweise in Formen der Fließbandarbeit, in denen die Arbeit des Einzelnen sich auf sinnlose Handgriffe reduziert. Gustav Wingren hat diesen Widerspruch so formuliert: «Die protestantische Arbeitsmoral kann im Licht des christlichen Glaubens nur solche Berufsarbeit interpretieren, die noch ein elementares Maß an persönlichen Beziehungen und individueller Entscheidungsfreiheit enthält.… Seine eigene mechanisierte Tätigkeit kann kein Fabrikarbeiter mehr als seinen ‹Beruf› auslegen.» Deswegen, so folgert er, nötigt die Tradition des protestantischen Arbeitsethos auch zum Einspruch gegen Arbeitsbedingungen, die keinerlei individuelle Entfaltungs- und Entscheidungsmöglichkeit enthalten, alle personale Kommunikation ausschalten und rein fremdbestimmt sind (Wingren 1980: 667).
Es gibt vom protestantischen Arbeitsethos weder eine gerade Linie zur Kapitalakkumulation um ihrer selbst willen noch zu einer in kleine Teile zerlegten, sinnentleerten Arbeit. Das führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass manche Traditionen der protestantischen Arbeitsethik eher in den Haltungen ein Echo finden, die man heute als neues Arbeitsethos bezeichnet. Ein kommunikativer und konsultativer Arbeitsstil, die Entfaltung von Kreativität und Dialogfähigkeit, die konstruktive Verbindung von individueller Selbstbestimmung und sozialer Einordnung, die Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten, aktive Mitbestimmung und Partizipation an der Gestaltung der eigenen Arbeitsbedingungen und der betrieblichen Abläufe entsprechen durchaus Grundzügen eines christlich geprägten Arbeitsethos. In offenkundiger Spannung zu ihm stehen dagegen die vermeintlichen Kennzeichen eines alten Arbeitsethos wie Fleiß und Beharrlichkeit bei sinnlosen Tätigkeiten, gehorsame Einordnung, auch wenn man deren Zweck nicht begreift, oder die Unterwerfung unter starre Kontrollmechanismen.
Dass kreative Arbeitsmöglichkeiten sich mit einem neuen Arbeitsethos verbinden können, bedeutet jedoch keineswegs, dass alle einen fairen Zugang zu solchen Arbeitsmöglichkeiten haben und einen gerechten Lohn erhalten. Vielmehr schließen diese Prozesse die Gefahr einer Teilung der Beschäftigten in Gewinner und Verlierer ein. Solchen Entwicklungen wurde in der neueren sozialethischen Diskussion der Grundsatz der
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