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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Beteiligungsgerechtigkeit entgegengesetzt, den die katholischen Bischöfe in den USA schon im Jahr 1986 so formulierten: «Zur Bedeutungder sozialen Gerechtigkeit gehört auch die Pflicht, wirtschaftliche und soziale Institutionen so einzurichten, dass die Menschen einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können, auf eine Art, die ihre Freiheit und die Würde ihrer Arbeit respektiert.» Daran schloss sich damals die Feststellung an: «Wirtschaftliche Verhältnisse, die viele arbeitsfähige Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt lassen oder ihnen nur unter entwürdigenden Bedingungen Arbeit geben, erfüllen die Anforderungen … der Gerechtigkeit nicht.» (Katholische Bischöfe in den USA 1986: TZ 72f.) Dieser Ansatz bei der Beteiligungsgerechtigkeit bestimmt inzwischen auch das sozialethische Denken im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (vgl. EKD, Teilhabe 2006).
    Die Aufgabe, Armut zu bekämpfen und Reichtum in die Pflicht zu nehmen, ergibt sich ebenso aus dem Ansatz bei der Beteiligungsgerechtigkeit wie der Gedanke, jedem den Zugang zu den Befähigungen zu geben, die er braucht, um sein Leben selbstverantwortlich gestalten zu können. Beteiligungsgerechtigkeit und Befähigungsgerechtigkeit gehören zusammen; Bildungspolitik ist also ein zentrales Element von Sozialpolitik. Jedoch kann man makroökonomische Defizite nicht einfach den Einzelnen anlasten. Durch die Verbesserung der Zugangschancen für Junge mildert man nicht die Armutsgefährdung für Ältere. Beteiligungsgerechtigkeit und Befähigungsgerechtigkeit müssen deshalb in Maßnahmen der Verteilungsgerechtigkeit sowie einer aktiven Sozial- und Wirtschaftspolitik eingebunden sein (vgl. Reuter 2009; Reuter, Teilhabegerechtigkeit 2012).
    Auch für die Gestaltung der Arbeitswelt gelten die Grundsätze, die uns schon in anderen Zusammenhängen beschäftigt haben: Jeder Mensch hat um seiner Würde willen das Recht, seine Gaben zu entfalten, mit ihrer Hilfe sein Leben zu gestalten und seinen Beitrag zum gemeinsamen Besten zu leisten. Die Freiheit des Einzelnen meint deshalb mehr als nur individuelle Selbstbestimmung, denn jeder Mensch ist für die Wahrnehmung seiner Freiheit auf die Hilfe anderer angewiesen. Im Maß des Möglichen ist jeder dazu verpflichtet, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Nicht selbstbezogene, sondern solidarische Individualität bestimmt das Leben des Menschen, auch in der Arbeitswelt (Höhn 1998). Zwar ist jedem Menschen die Fähigkeit angeboren, um des eigenen Überlebens willen an seinen Eigennutz zu denken. Doch gemeinsames Leben entsteht erst,wenn sich dieser Eigennutz mit der Bereitschaft zur Solidarität verbindet. Exemplarisch zeigt sich das an den drei Grundformen menschlicher Arbeit: Erwerbsarbeit, Freiwilligenarbeit sowie Familien- und Eigenarbeit. In allen drei Bereichen kommt es darauf an, dass nicht das Leben der Arbeit, sondern die Arbeit dem Leben dient.

12. Profit
    Was ist der Zweck der Wirtschaft?
    Im Jahr 2010 wurde dem Maler Neo Rauch in Leipzig und München eine Doppelausstellung aus Anlass seines 50. Geburtstags gewidmet. Der Schriftsteller Uwe Tellkamp, bekannt durch den Roman «Der Turm», charakterisierte aus diesem Anlass Neo Rauch mit folgenden Worten: Der Maler operiert «an einer Naht, er tastet sich in den Moment vor der Explosion, die, noch gestillt, schon zu ahnen ist, eine Choreographie sich gegenseitig häutender, ineinanderlegierter Energien, das Schachbrett als Zündfläche, die Figuren mit Phosphorrändern. Implosion vor der schon sichtbaren Schubumkehr, der Eruption der Energie nach außen; eine Fensterscheibe, mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen, wenn der Stein eines mutwilligen Werfers eben das Glas splittern und die Bruchstücke schießen lässt, dieser Moment aus gestoppter Nova, Gefahr und faszinierender Asymmetrie …» (Tellkamp 2010: I).
    Das Gefühl, wir befänden uns in dem Augenblick, bevor die Fensterscheibe zersplittert, in dem Moment vor einer schon zu ahnenden Explosion, ist verbreitet. Innerhalb nur eines Jahrzehnts lassen sich dafür Ereignisse unterschiedlicher Reichweite anführen: der Terroranschlag auf die Twin Towers des World Trade Center in New York am 11. September 2001, der Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank am 15. September 2008, mit dem die seit Frühjahr 2007 schwelende Finanzkrise zum offenen Ausbruch kam, die europäische Staatsschuldenkrise seit dem griechischen Offenbarungseid im Oktober

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